Die Finsteren
Dadurch fiel sein Blick geradewegs auf das, was er ausgespuckt hatte. Es handelte sich um ein Stück Zahn.
Er hob den Kopf und starrte seine Freundin an. »Ich dachte, du liebst mich.« Das Reden schmerzte. Jede Bewegung seiner Kiefer jagte einen Blitz sengender Pein durch den Schädel. »Wie kannst du das nur tun?«
Ihr Gesichtsausdruck erinnerte nach wie vor an den eines Tiers. Keinerlei Sanftmut sprach daraus. Und keinerlei Gnade. »Ich will überleben. Mehr nicht.«
Mr. GQ trat neben sie und schlang einen Arm um ihre Schultern. »Schon komisch, wie sie sich gegen einen wenden, was?« Er lachte. »Du bist jung, daher vermute ich, das war dir bisher nicht wirklich klar. So etwas wie echte Loyalität gibt es nicht mehr. In der modernen Welt heißt es nur noch: Fick, wen du ficken musst, um vorwärtszukommen.«
Greg schleuderte ihm einen finsteren Blick entgegen. »Leck mich.«
Der Mann grinste. »Ach, jetzt wirst du mutig. Jetzt, wo du glaubst, dass es nichts mehr zu verlieren gibt, hältst du den Zeitpunkt für gekommen, etwas Mumm zu zeigen.« Er löste sich von Carrie und richtete die Waffe direkt auf Gregs Gesicht. »Steh auf.«
Greg blickte dem Mann in die Augen. In ihnen spiegelte sich sein eigener Tod wider. Er spannte die Beinmuskeln an, um sich wie befohlen zu erheben. Aber statt einfach nur aufzustehen, sprang er auf den Mann zu, rammte ihm den Kopf in die Magengrube und presste ihm die Luft aus der Lunge. Dadurch löste er einen neuerlichen Ausbruch von Schmerzen aus. Er empfand ihn jedoch als lohnend, als er hörte, wie die Pistole klappernd auf dem Betonboden landete. Er stieß den Mann gegen die Seite des Lexus und warf sich gegen dessen Körper. Der andere versuchte, ihn wegzuschieben, aber Greg erhöhte den Druck und nahm irgendwoher die Kraft, eine schnelle Folge von Schlägen auf seinen Gegner einprasseln zu lassen. Aus dem Augenwinkel bemerkte er, dass sich Carrie der Pistole näherte. Sie nahm die Waffe in die Hand. Es glich einem Wunder. Sie konnten diesem Albtraum entrinnen! Danach spielte es keine Rolle mehr, was Carrie getan hatte. Er würde ihr genauso verzeihen, wie Gott ihr verzieh. Sie war lediglich ein Opfer, weiter nichts.
Seine Euphorie währte genau bis zu dem Moment, als sie die Pistole auf ihn richtete. »Aufhören.«
Gregs Schultern sackten nach unten. Er senkte die Fäuste.
Der Mann stieß ihn weg und entriss Carrie die Pistole.
Greg starrte sie fassungslos an. »Warum?«
Sie lächelte. »Ich weiß es nicht. Ich ... habe etwas gespürt. Es hat sich wie Gott angefühlt, der in meinem Kopf zu mir spricht. Er hat mir gesagt, was ich tun soll.«
Greg stöhnte. »Scheiße.«
Mann, das ist einfach toll. Meine Freundin ist vollkommen irre. Herzlichen Dank auch, Gott. Wäre schön gewesen, das früher zu erfahren.
Der Mann grinste. »Gute Neuigkeiten für dich, Schätzchen. Das ist nicht Gott, der mit dir redet. Es ist mein Kumpel Andras und er freut sich schon sehr darauf, dich kennenzulernen. Ich glaube, du wirst auf ihn abfahren. So viel kann ich dir schon mal verraten: Man hat mit ihm wesentlich mehr Spaß als mit deinem Gott.«
Carrie lächelte. »Cool.«
Cool?
Carrie war in diesem Augenblick nicht mehr sie selbst. So viel stand fest.
Nur änderte dieses Wissen nicht das Geringste.
Der Mann deutete mit der Pistole auf eine offene Tür. »Da lang.«
Weil es Greg an Alternativen fehlte, setzte er sich in Bewegung und ging auf die Tür zu. Irgendwo im Haus ertönte ein Schrei. Ein Kloß stieg ihm in den Hals und sein Magen verkrampfte sich.
In was für eine Horrorshow bin ich hier nur hineingeraten?
29
Die Ransom-Lanes-Bowlingbahn verfügte über einen relativ großen, an Wochenenden immer gefüllten Parkplatz. Sogar an den meisten Abenden unter der Woche lief das Geschäft gut. Den jungen Leuten in Ransom stand keine allzu große Auswahl an Freizeitangeboten zur Verfügung. Es gab keine Kinos. Die wenigen Lokale, in denen gelegentlich Livemusik gespielt wurde, waren versiffte kleine Countrykneipen, in die Minderjährige nicht hineindurften. Nein, wollte man als Teenager in Ransom seine Freunde treffen, beschränkte sich die Auswahl so ziemlich auf Ransom Lanes. Der geräumige Innenraum des Bowlinglokals bot reichlich Platz, um sich unters Volk zu mischen. Die Besitzer achteten darauf, immer die neuesten Hits über die laute Musikanlage zu jagen. Hatte man genug vom Bowlen, gab es einen kleinen Billardraum und ein noch kleineres, angrenzendes Zimmer, in dem einige
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