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Die Flamme von Pharos

Die Flamme von Pharos

Titel: Die Flamme von Pharos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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nach. Mit lautem Knacken brach er in sich zusammen – und als der Staub sich wieder legte, gab er den Blick auf einen Gang frei, der schräg in die Tiefe führte und dessen Wände von weiteren Reliefdarstellungen verziert waren. Der Fackelschein verblasste in gähnender Schwärze.
    »Unglaublich«, kam selbst Hingis nicht umhin zuzugeben. »Sie hatten recht mit Ihrer Vermutung.«
    »Wie steht es, Doktor?«, fragte Sarah grinsend. »Wollen Sie immer noch umkehren?«
    »Das hängt ganz davon ab«, erwiderte der Schweizer, dessen Forscherdrang nun doch zu erwachen schien, »was wir dort unten finden werden.«
    »Glauben Sie denn, Schliemann wusste, worauf er sich einließ?« Beherzt trat Sarah in den Korridor. »Nur eines ist sicher: Jemand wollte nicht, dass dieser Stollen geöffnet wird …«
    Zusammen mit ihrem Vater übernahm sie die Führung, es folgten Laydon, Hingis und Ali Bey. Die Nachhut bildete du Gard, der sich argwöhnisch umblickte und dessen Gesicht einmal mehr jenen harten, unnahbaren Ausdruck angenommen hatte, den Sarah schon wiederholt auf seinen Zügen gesehen hatte.
    Zunächst führte der Stollen in flachem Winkel bergab, dann über steile Stufen, und je weiter er sich in die Tiefe bohrte, desto kälter und feuchter wurde es. Von den Detonationen, die an der Oberfläche tobten, war nichts mehr zu hören; drückende Stille herrschte, die nur von den Schritten der Flüchtlinge gestört wurde und vom leisen Plätschern des Wassers, das hier und dort in glitzernden Rinnsalen von den Stollenwänden floss. Viele der in den Stein gehauenen Darstellungen waren dadurch glatt gewaschen und nicht mehr zu erkennen; andere zeigten Szenen aus dem ägyptischen Pantheon, von der Entstehung der Welt durch Geb und Nut über die Reise des Sonnengottes bis hin zu Bildern der ibisköpfigen Gottheit Thot, dem Schutzherrn der Schreiber und Zauberkundigen …
    »Da stimmt etwas nicht«, meldete Hingis plötzlich Bedenken an.
    »Wovon sprechen Sie?«, fragte Sarah.
    »Ich spreche davon, dass wir nun schon seit einer halben Ewigkeit durch diesen Stollen gehen. Wir müssen die Halbinsel längst verlassen haben.«
    »Das denke ich auch«, stimmte Gardiner Kincaid gelassen zu. »Dem Salzgeruch und der zunehmendem Feuchtigkeit nach zu urteilen, dürften wir uns schon seit geraumer Zeit unter dem Meer befinden.«
    »Unter dem Meer?«
    »Das Hafenbecken – meinen Berechnungen nach sind wir gerade dabei, es zu unterqueren.«
    Beklommen blickte Sarah zur Gewölbedecke empor. Der Gedanke an die Wassermassen, die sich über ihnen türmten, bedrückte sie, und ein Blick in die Gesichter ihrer Gefährten verriet, dass es ihnen nicht anders ging. Einzig Sarahs Vater schien davon völlig unberührt, er wirkte im Gegenteil um vieles ausgeruhter als noch kurz zuvor in der Kerkerzelle. Die archäologischen Rätsel, die sie umgaben, schienen ihm ein Jungbrunnen zu sein, an dessen sprudelndem Quell er sich erfrischte.
    »Aber wenn dieser Stollen unter dem Hafenbecken hindurch führt«, folgerte Sarah, »dann bedeutet das, dass er einst die Insel Pharos und das Festland miteinander verbunden hat.«
    »Unglaublich, nicht wahr?« Ihr Vater nickte begeistert.
    »Unglaublich ist es in der Tat«, stichelte Hingis, »vor allem, da sich nicht in einer einzigen antiken Quelle ein Hinweis auf einen solchen Verbindungstunnel findet.«
    »Das ist nicht gesagt«, widersprach Gardiner. »Denken Sie nur an die Septuaginta.«
    »Die Septuaquoi?«, fragte du Gard.
    »Die erste griechische Übersetzung des Alten Testaments, die einst auf Geheiß von Ptolemaios II. für die Bibliothek von Alexandria angefertigt wurde«, erklärte Sarah. »Der Überlieferung des Aristeas nach wurde die Septuaginta an zweiundsiebzig Tagen von ebenso vielen jüdischen Gelehrten angefertigt, und zwar auf der Insel Pharos.«
    »In der Tat«, stimmte ihr Vater zu. »Allerdings haben viele Wissenschaftler – darunter auch ich – diese Darstellung stets bezweifelt, weil sie mit vielen Widersprüchen behaftet ist. Wieso zum Beispiel sollte man Übersetzungsarbeiten auf einer Leuchtturminsel durchführen? Wäre es nicht viel praktischer, in der Bibliothek zu bleiben, wo es weiterführende Literatur und Wörterbücher zum Nachschlagen gibt? Unter einer Voraussetzung allerdings ergeben Aristeas’ Angaben durchaus Sinn …«
    »…nämlich wenn es eine geheime Verbindung zwischen der Bibliothek und dem Pharos gab, die die Gelehrten jederzeit benutzen konnten«, vervollständigte Sarah

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