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Die Flammen der Dunkelheit

Die Flammen der Dunkelheit

Titel: Die Flammen der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyne Okonnek
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glauben mochte. Bis heute erinnerte er sich daran, wie erfreut der Schreiber, der ihm die Pergamente aushändigte, über seine Neugier war. Warum nur sahen die Priester nicht, dass die ursprünglichen Lehren im Laufe der Zeit zu einem Zerrbild ihrer selbst geworden waren? Mochten ihn die anderen in seiner Umgebung für jung und unerfahren halten, Dallachar war alt genug, um Ungerechtigkeit als solche zu erkennen. Er brannte darauf, die Macht des Erwählten einzuschränken oder, noch besser, ihn ganz aus dem Palast zu weisen und ihm sämtliche Aufgaben am Hof zu entziehen. Wie er das bewerkstelligen wollte, wusste er noch nicht, aber er war sicher, eine Lösung zu finden, sobald seine Kräfte groß genug waren. Bis dahin musste er jedoch dem Erwählten aus dem Weg gehen, so gut es ihm möglich war. Also schluckte er seinen Zorn mühsam hinunter und atmete tief durch. Aber sich in alles fügen, kam nicht infrage.
    »Ich werde dieses Zimmer nicht aufgeben. Nicht einen Augenblick! Jemand soll die Tür in Ordnung bringen, die Fenster mit Decken verhängen und ein Bett aufstellen, das reicht fürs Erste«, sagte er mit der ganzen Entschlossenheit, die er aufbieten konnte. »Dieses Durcheinander hier kann man nach und nach wegräumen.«
    Eine Weile antwortete Dídean nichts, dann nickte sie und verließ den Raum, vermutlich um seinen Wünschen zu entsprechen. Dallachar war verblüfft, dass sie so schnell nachgab, pochte sie doch sonst sehr auf Würde und würdevolles Verhalten, und dieser nasse zertrümmerte Raum war gewiss keine passende Umgebung für einen Prinzen. Er zuckte die Achseln und wandte sich wieder dem Fenster zu. Nachdenklich betrachtete er die beschädigte Stadt. Er hatte heute viel verloren, aber wenigstens einen kleinen Sieg errungen.

    Ardal saß an seinem Pult und rieb sich die Augen. Er musste sich getäuscht haben! Doch nein, auf einer der Listen von Beschädigungen und vermissten Gegenständen, die er seit etlichen Tagen sorgfältig in ein großes Buch übertrug, stand der Name eines Priesters, mitten zwischen Hühnern, Schafen, zwölf Booten, einer Fahne und verschiedenen Pflanzen, die der Sturm verjagt oder mit sich fortgetragen hatte. Beinahe hätte er aufgelacht, aber das hätten die anderen in der Schreibstube nicht verstanden. Wer weiß, wie sie seine Heiterkeit auslegen würden, warfen sie ihm ohnehin oft genug mangelnden Eifer vor. Wenn sie wüssten, dass hinter seiner angeblichen Faulheit eine verzweifelte Suche steckte! Sollten sie ruhig glauben, dass er dreimal so lange für seine Schreibarbeiten und seine Gänge ins Archiv brauchte, weil er träge war. Vermutlich hielten sie ihn sowieso für dumm, aber auch das war nur nützlich. Es wäre ihm eigentlich ein Bedürfnis gewesen, wegen des vermissten Priesters noch einmal nachzuhaken. Nicht dass er viel von der Priesterschaft hielt, aber es widerstrebte ihm, einen Menschen wie ein Tier oder eine Sache zu behandeln. Trotzdem tauchte Ardal die Feder in das Tintenfass und schrieb den Namen des Priesters zwischen Schafen, Hühnern und Booten in das Buch, ganz wie auf der Liste vorgegeben. Er durfte keine Aufmerksamkeit erregen, musste gleichsam unsichtbar sein. Ein einfältiger Schreiber wurde leichter übersehen als einer, der neugierige Fragen stellte. Doch selbst wenn er auf Fragen lieber verzichtete, würde er die Augen offen halten. Irgendetwas sagte ihm, dass mehr hinter dem Verschwinden des frommen Mannes steckte als ein Orkan. Und richtig, als sie beim Mittagsmahl beisammensaßen und er den Gesprächen der anderen lauschte, während er stumm seine Algensuppe löffelte, wurde eifrig über diesen Vorfall getuschelt. Anscheinend wussten mehr Menschen Bescheid und nicht nur die Verfasser jener Listen. Es hieß, man habe den Vermissten das letzte Mal im Palast gesehen. Der Koch und seine Gehilfen schworen Stein und Bein, dass der Priester darauf bestanden hatte, erst in der Küche seinen Eintopf fertig zu essen, bevor er sich vor dem Sturm in Sicherheit brachte. Natürlich hatte ihm das Gesinde nicht dabei zugesehen, es rannte lieber in die Keller hinab.
    Ardal kratzte sich am Kopf. Sollte das Gerede stimmen, war dies in der Tat ein merkwürdiges Verhalten. Jeder, der sich in den Hierarchien der Priesterschaft und ihrer Bediensteten auskannte, wusste, dass gerade die Priester nie Hunger litten, und ein Eintopf war nun wirklich nichts, wofür man sein Leben riskierte. Was hatte der Priester also vorgehabt, sobald er allein war? Er führte mit

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