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Die Flammen der Dunkelheit

Die Flammen der Dunkelheit

Titel: Die Flammen der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyne Okonnek
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wenn es fertig gebaut war. Hier lebte bestimmt niemand. Er untersuchte die Tür und holte sein Werkzeug aus der Geheimtasche im Hosenbein. Das verriegelte Schloss war kein Problem für seine geschickten Finger. Innerhalb kürzester Zeit war es geöffnet und er hatte für diese Nacht ein Dach über dem Kopf. Als er gerade die Tür hinter sich schließen wollte, flatterte die Dohle hindurch. Glic freute sich, dass er Gesellschaft hatte, und morgen in aller Frühe würde er die Stadt erkunden!
    Kaum brach die Dämmerung herein, war Glic schon auf den Beinen und erklomm die Stufen, die sich in großen Serpentinen den Fels hinaufwanden. Er war nicht der Einzige. Um ihn herum keuchten Männer mit großen Körben voller Fisch. Im Hafen stand das Wasser bis zur Kaimauer und die Boote schaukelten auf den Wellen. Glic war froh, dass die Männer schwer zu tragen hatten, so fehlte ihnen der Atem, um Fragen zu stellen. Aber der eine oder andere neugierige Blick traf ihn schon. Vielleicht versuchten sie abzuschätzen, ob er ihnen beim Tragen helfen konnte. Schnell gab er vor, dass seine Tasche eine ungeheure Last war, die er nur mit großer Mühe schleppen konnte.
    Oben angekommen öffnete sich die Treppe auf einen kleinen Platz, der von schmalen mehrstöckigen Häuschen umrahmt wurde. Sie waren aus dem gleichen grauen Stein wie die Felswand, auf der sie standen. Auf einem der Dächer hatte sich die Dohle niedergelassen. Vermutlich waren ihr hier zu viele Menschen. Sie wimmelten umher wie Waldameisen, manche zielstrebig, manche suchend. Glic sah Stände aufgebaut, an denen Fisch verkauft wurde, aber auch Fleisch und Eier. Er ließ sich mit der Menge treiben und folgte dem Strom über mehrere Gassen zu einem größeren Platz. Hier gab es ebenfalls Stände mit Waren, doch es handelte sich um Samen, Obst, Wolle oder nützliche Dinge wie Kochgeschirr aus Ton, Kupfer oder Eisen. Sogar einen Stand mit Püppchen und kleinen Wagen entdeckte er. Glic kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Über ihm zog die Dohle ihre Kreise und landete auf dem Kamin eines Hauses. Dort blieb sie sitzen und beäugte, wie der Junge den Markt erkundete. Es gab einfach unglaublich viel zu sehen, Glic hätte nie gedacht, dass die Stadt so spannend war. Erst als er beobachtete, wie zwei Frauen um ein Brot stritten, fiel ihm auf, wie ausgemergelt die Menschen hier aussahen. Es gab zwar verschiedene Esswaren, aber bei genauer Betrachtung konnte man sehen, dass eine geschickte Anordnung Fülle vortäuschte, wo gar keine war. Während er das Gewimmel nun mit neuen Augen betrachtete, sah er die Männer mit den Fischkörben eine der Gassen entlanglaufen.
    Das war also gar nicht für den Verkauf auf dem kleinen Markt bestimmt gewesen!, dachte er. Nachdenklich schlenderte er weiter. Links sah er einen Korb mit Wildäpfeln ausgestellt, die verlockend dufteten. Glic lief das Wasser im Mund zusammen. Sehnsüchtig dachte er an seine Mahlzeiten mit Aodh. Dieser hatte ihm oft seinen Apfel zugesteckt, da er lieber Brot aß. Glic seufzte, er vermisste den Schmied. Es kam ihm vor, als wären seit seinem Aufbruch Jahre vergangen.

    Dallachar freute sich diebisch, als er durch die Gassen hinunter zum Markt lief. Der sorgfältig ausgeheckte Plan war aufgegangen: Er war Dídean entkommen! Sie glaubte vermutlich immer noch, dass er im Zimmer saß, um eifrig an einem neuen Bild für seine Mutter zu malen. Er hätte nur bis zum Mittag die Gelegenheit dazu, hatte er ihr klargemacht, denn dann wollte er doch mit dem neuen Boot in See stechen, um es auszuprobieren, bevor er anschließend die lang ersehnte Audienz zu seinem Geburtstag erhielt. Es war großes Glück, dass Dídean nicht gehört hatte, welchen Zeitpunkt er mit den Bootsbauern vereinbart hatte. Dieser Zufall war überhaupt der Ausgangspunkt der Idee gewesen. Einem Pagen zu befehlen, dass er seinen Platz einnahm, die Zimmertür hinter ihm verriegelte und sie unter keinen Umständen irgendjemandem außer ihm selbst wieder öffnete, das war fast schon ein Kinderspiel gewesen. Der Gang durch die Stadt ohne Dídean war ein Vorgeschmack auf die Freiheit, die er auf dem Meer verspüren würde. Ohne seine Begleiterin hatte er sogar Freude an dem Treiben auf dem Markt. Er entschloss sich einen winzig kleinen Umweg zu machen und in der Menge unterzutauchen. Die verwunderten Blicke der Menschen, die ihn wahrnahmen, wollte er einfach übersehen. Natürlich konnte er nicht unerkannt durch die Stadt laufen, aber wenigstens war er allein.

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