Die Flammen der Dunkelheit
gut genug, um zu wissen, dass sie irgendwann zu ihm zurückkehren würde. Sie schien ebenso an ihm zu hängen wie er an ihr. Vielleicht entdeckte er sie unterwegs auf einem der Dächer. Schade, dass Benen sich so beharrlich geweigert hatte mitzukommen. Glic mochte den stillen Jungen sehr, und er wusste, die Zuneigung war gegenseitig. Sie hatten sich viel zu erzählen gehabt, denn ihre Leben waren sehr unterschiedlich verlaufen. Benen konnte sich einen Wald gar nicht recht vorstellen, er hatte noch nie die Stadt verlassen, und es gab auch keinen in der Nähe. Er beneidete Glic, dass er dort hatte frei herumlaufen können. Glics Einwand, dass es ihm unmöglich gewesen sei, den Wald zu verlassen oder auch nur bis zum Rand vorzudringen, sodass er auch eingesperrt gewesen war, wollte er nicht gelten lassen. Glic sah ein, dass man sich in einem kleinen Häuschen kaum bewegen konnte, trotzdem bestand er darauf, ebenfalls ein Gefangener gewesen zu sein. Gerade deshalb würde er sich jetzt nicht von Ardal wegen irgendwelchen eingebildeten Gefahren ans Haus fesseln lassen. Er hatte genug von der Bevormundung durch Erwachsene, die in seinen Augen ziemlich willkürlich war. Schließlich hatte Aodh, der Schmied, ihm alle Freiheit gewährt und nur ab und zu einen Hinweis gegeben. Am Ende hatte er ihn sogar allein den weiten Weg in die Stadt gehen lassen, und Aodh war gewiss jemand, der wusste, wie gefährlich die Welt ist! Glic hatte Mühe einzusehen, dass Benen es nicht wagte, der Anweisung seines Vaters zuwiderzuhandeln. Ardal müsste es gar nie erfahren, wenn sie nur einen kurzen Ausflug machten. Bevor er von der Arbeit nach Hause kam, wären sie wieder zurück. Aber Benen ließ sich nicht überreden, obwohl sein unglücklicher Gesichtsausdruck deutlich machte, wie gerne er mitgegangen wäre. Glic verstand zwar, dass er seinem Vater keinen Kummer bereiten wollte, aber was konnte ein kleiner Spaziergang schon schaden!
Erst als er die Gasse entlanggelaufen und das Haus außer Sicht war, fiel eine Last von seinen Schultern ab. Auf einmal wurde ihm bewusst, welch bedrückende Stimmung dort herrschte. Dass Ardal Sorgen hatte, war offensichtlich. Die Furchen in seinem Gesicht kamen nicht vom Alter. Aber das Ausmaß schien größer zu sein, als Glic es sich vorstellen konnte, so groß, dass es auch Benens Lebensgeister dämpfte. Gerne hätte er ihn einfach mitgenommen, aber dazu hätte er ihn vermutlich bewusstlos schlagen und über die Schulter legen müssen. Dieses Aufsehen wollte er sich doch lieber ersparen! Er hatte überhaupt keine Lust aufzufallen und trug seine Haare unter der Wollmütze versteckt, die ihm Benen geschenkt hatte. Dafür war er sehr dankbar. Benen hatte ihm auch eine ganze Reihe von Verhaltensmaßregeln mitgegeben. Die meisten schienen Glic unwichtig oder komisch und er hatte sie schon wieder vergessen. Aber das eine oder andere war doch brauchbar, weil er sich in der Stadt und mit den Menschen hier nicht auskannte. Essen würde er jedenfalls keines mehr stibitzen!
Nach der ersten Begeisterung stellte er fest, dass die Gassen trüb und grau wirkten, selbst die Menschen schauten nicht fröhlich drein. Im Gegenteil, viele huschten seltsam gehetzt und mit gesenktem Blick an ihm vorbei. Kaum jemand benutzte die Mitte der Sträßchen, sie drückten sich lieber an den Häuserwänden entlang, als wollten sie unbemerkt bleiben. Bei seiner Ankunft war ihm dieses Verhalten nirgends aufgefallen, und er fragte sich, ob seitdem etwas vorgefallen war oder ob er es damals nur übersehen hatte. Auf dem Markt waren heute weniger Stände als letztes Mal. Obwohl Glic ihn nur von Weitem eine Zeit lang betrachtete, weil er nicht wiedererkannt werden wollte, war er jetzt sicher, dass sich etwas geändert hatte. Er hatte das Treiben auf beiden Märkten noch gut genug in Erinnerung, um zu beurteilen, dass die Stimmung auch hier wesentlich düsterer war. Da er keine andere Möglichkeit sah, die Ursache herauszufinden, beschloss er, Ardal auszufragen und sich auf keinen Fall abwimmeln zu lassen. Zwar musste er dann seinen Ausflug beichten, aber ihn plagte das unbestimmte Gefühl, dass irgendetwas im Gange war, das ihn früher oder später ebenfalls betreffen würde, und dann hatte er ein Recht darauf, zu wissen, was so Schreckliches geschehen war, dass es eine ganze Stadt beeinflusste.
Seine Lust sich umzusehen wurde immer geringer, aber er entschied, sich wenigstens noch den Palast anzuschauen, dessen Ostturm man von Ardals Haus
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