Die Flammen von Lindisfarne
Wolfssohn, auf dass ich damit beginne, dich zu lehren, wie man einen Drachen reitet...!“
***
„ Dominus vobiscum! - Der Herr sei mit euch!“ klang die singende Stimme Abt Bernhards durch die Kühle der Klosterkirche. Draußen lag die Natur noch in tiefem Schlaf und die wenigen Kerzen erhellten das Gotteshaus nur spärlich.
„ Et cum spirito tuo ! - Und mit deinem Geiste!“ antwortete der Chor der Mönche auf die rituellen Worte der Liturgie. In die kräftigen Männerkehlen mischten sich die hellen Stimmen der Novizinnen. Auch sie hatte das Läuten zur Matutin aus dem Schlaf gerissen und es war ein Teil ihrer Buße, dass sie an jedem der zahlreichen Gottesdienste und Andachten teilnehmen mussten.
„ Sursum corda! - Empor die Herzen!“ erklang die Stimme des Abtes, der wie an jedem Morgen die Frühmesse selbst zelebrierte.
Während Bernhard von Whitby weiter die Worte der Liturgie murmelte, begannen die Mönche einen der majestätischen Choräle zu singen, die Papst Gregor selbst ersonnen haben sollte.
Als die Glöckchen zur Wandlung schellten, bei der unter der flüsternden Stimme des Priesters Brot und Wein zu Christi mystischen Leib und Blut wurde, ahnte Bernhard von Whitby nicht, dass er die Brüder zum letzten Male das Geheimnis des Glaubens offenbarte.
Denn es war der Morgen des 8. Juni im Jahre des Herrn 793...
„ Ite missa est! - Gehet hin. Ich entlasse euch!“ Mit erhobener Hand erteilte Berhard von Whitby den Schlusssegen. Er ahnte nicht, dass er die meisten der Brüder damit für den Tod und die Ewigkeit segnete.
„ Deo gratias ! - Dank sei Gott!“ war die Antwort der Mönche und Novizinnen. Während Abt Bernhard und Bruder Johannes, der bei dieser Messe das Amt des Ministranten übernommen hatte, vom Altar in die Sakristei schritten, um den Chorrock und das Messgewand wieder mit der schlichten Kutte zu vertauschen, erhoben sich die Mönche und die in der anderen Bankreihe knienden Mädchen, bekreuzigten sich noch einmal und verließen die Kirche.
Während die Novizinnen zurück in ihr Dormitorium gewiesen wurden, einen großen Schlafsaal, der für die Übernachtung von Pilgergruppen vorgesehen war, schritt der Zug der Mönche hinüber zum Refektorium, wo das Frühmahl vor der ersten Arbeit eingenommen wurde. Erst wenn die Mönche gegessen hatten, konnten die Mädchen frühstücken.
Das Essen war sehr einfach und bestand aus altbackenem Brot mit etwas Ziegenkäse und wildem Lattich, zu dem frisches Wasser getrunken wurde. Tiefe Stille herrschte nach der Regel Sankt Benedikts im Refektorium und nur die Essgeräusche und das Scharren der Tonschalen auf dem Tisch war zu vernehmen.
„Ich bitte euch, Brüder, dass ihr euch heute nicht nur mit dem Gebet, sondern auch mit der Speise kräftigt“, unterbrach Abt Bernhard das Schweigen, denn nachher werden wir all unsere Kräfte brauchen.“
Verständnislos sahen sich die Mönche an, weil ihr eigentlicher Tagesplan für die Arbeiten bereits feststand. Sie würden mit den Knechten hinaus auf die Felder zur Heuernte ziehen und freuten sich, für einige helle Sommertage der Arbeit im düsteren Scribtorium zu entgehen. Das war der Schreibsaal neben der weltberühmten Bibliothek, wo die Evangelien, die Apostelbriefe und auch sonst jede Art von Schriftstücken immer wieder von Hand abgeschrieben wurde.
Die Zeit der Heuernte oder wenn das Korn eingefahren wurde waren Tage, wo die frommen Brüder gutes Wetter ausnutzend alle mit zugreifen mussten. Da blieben die Tintenfässer geschlossen und die Gänsekiele unbenutzt.
Sicher war es zu Lindisfarne üblich, dass der Tag mit Arbeit ausgefüllt war und niemand im Kloster müßig ging. Ora et labora - Bete und arbeite war die Maxime des Benediktus von Nursia, der in den Tagen der Völkerwanderung seinen Mönchsorden auf der Höhe des Monte Cassino gegründet hatte.
Und so hatte jeder der Brüder zu Lindisfarne seine Arbeit und Aufgabe, obwohl die meisten der Mönche in dem bis zum Hofe des Frankenkönigs gerühmten Scribtorium von Lindisfarne beschäftigt waren. Die schweren Arbeiten wurden hauptsächlich von unfreien Knechten und dem Kloster hörigen Bauern verrichtet. Doch zum Einfahren von Heu oder Sommergetreide, brauchte man jede Hand auf den Acker. Da mussten denn auch die frommen Brüder mit hinaus in die Felder. Und darauf freuten sich das ganze Jahr.
„Ich denke, dass sie Arbeit, die ich für heute morgen
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