Die Flammen von Lindisfarne
Bernhard aus der Todesangst, die sein Innerstes um-krallte und ihn wie ein zitterndes Bündel zu Füßen des Altares zucken ließ. Die Worte, die er in seinem Innersten zu hören glaubte, ließen den Abt wieder zu klarem Verstand zu kommen. Auffahrend lauschte er in die Stille. War es wirklich die Stimme Jesu, die er dort vom Kreuz vernommen hatte. Hier in der Kirche war noch die Weihe tiefsten Friedens. Doch von draußen klangen die Entsetzens-schreie der Flüchtenden und das siegestrunkene Johlen und Grölen der marodierenden Barbaren an sein Ohr.
„Rede zu mir, Herr!“ hörte der Abt seine Lippen flüstern, während er sich langsam erhob. "Was soll ich tun? Denn feige bin ich entflohen, als die Wölfe in deine Herde einfielen, die zu weiden du mir geboten hast.“
„Bekenne Gott vor den Heiden, die zwar deinen Leib, nicht aber deine Seele töten können. Und gib ihnen so ein Beispiel des christlichen Glaubens“, kam in seinem Inneren die Antwort, „Doch schäme dich nicht deiner Angst. Auch ich, der Sohn Gottes, schwitze vor Blut vor Angst in jener Nacht zu Gethsemane. Und aus Furcht vor dem Tode hat mich Petrus dreimal verleugnet.“
„Sie werden mich töten!“ schrie Bernhard in Todesangst heraus.
„Wahrlich, ich sage dir, noch heute wirst du bei mir im Paradiese sein“, flüsterte die Stimme Jesu Christi in seinem Inneren. Im gleichen Augenblick vernahm er das scharrende Geräusch, mit dem eins der Kirchenportale aufgeschoben wurde.
Die Stunde war gekommen. Und da fiel alle Angst von Bernhard ab.
Langsam wandte er sich um. Seine Hände umklammerten das kleine Altarkreuz und hob es empor. Seine Augen sahen ruhig und gefasst auf den jungen Wikinger, der sich ihm mit erhobenem Schwert näherte...
„Das also ist der Tempel ihres Gottes!“ stieß Lars Wolfssohn hervor. „Und das dort vorn ist sicher der Oberpriester!“
Entschlossen ging er auf den alten Mann zu, der ihn mit erhobenem Kreuz erwartete. Matt blinkte Schneefall in seiner rechten Hand. Noch hatte die Klinge kein Blut getrunken. Niemand hatte sich dem Wolfssohn entgegen gestellt. Und Schneefall gegen einen Wehrlosen zu schwingen, galt Lars als einem Krieger unziemlich. Die Linke lag auf dem Griff des Sachs, den er noch nicht gezogen hatte. Schließlich trennten ihn nur noch ungefähr zwei Schwertlängen von seinem Gegner. Bis zu den Stufen des Altars herab kam ihm Bernhard entgegen.
„Wenn du die Lebenden tötest, so entweihe nicht die Ruhe der Toten“, radebrechte der Abt in der Sprache des Nordlandes, die auch er in den Grundzügen von Erik gelernt hatte.
„Was kümmern mich alte Knochen“, stieß Lars heftig hervor. „Ich suche Christen und ihre Kreuzpriester.“
„Und du fandest einen Priester Christi“, über die Lippen des Abtes floss ein mildes, abgeklärtes Lächeln. Er war jetzt bereit zum Sterben und wusste, dass die Krone der Märtyrer im Himmel für ihn bereit lag.
„Du bist ein Freund Lokis und ein Feind Odins!“ rief Lars trotzig. „Ich aber bin Odins Sohn. Hol deine Waffe und verteidige dich im Angesicht deines Gottes.“
„Du siehst dieses Kreuz in meiner Hand und hinter dem Altar“. sagte Bernhard von Whitby schlicht. „Das Kreuz ist das Siegeszeichen Christi und Schutz und Waffe zugleich für die Menschen, die an ihn glauben.“
„Der Mann, der da hängt...das ist euer Christus?“ fragte Lars mit ungläubiger Stimme.
„Der Erlöser der Welt“, nickte der Abt. „Er hat die Menschen von der Schuld ihrer Sünden befreit, indem er für uns gestorben ist. Gestorben für uns alle...und dich auch.“
„Aber er sieht aus wie Odin, als er von seinen Feinden ins Geäst der Weltesche gehängt wurde“. rief Lars eifrig. „Da...dort ist auch die Wunde des Speeres, mit dem man ihn durchbohrte. Und dort unter seinen Füßen...das sind die Runen, die Odin in seiner Todesqual fand und durch die er Weisheit und neues Leben erlangte.“
„Aber das sind die Würfel, mit denen die Kriegsknechte um das Gewand des Erlösers würfelten...!“ stieß der Abt verblüfft hervor. Offensichtlich hatten die Nordländer Sagas ihrer Götter, die ihnen den Übergang zum Christentum erleichtert hätten. Jetzt bedauerte es Bernhard von Whitby, das er Bruder Erik nie gestattet hatte, im vom Ur-Glauben seines Volkes zu erzählen. Dieser kraftstrotzende Wikinger-Jüngling barg bereits den Keim der Lehre Christi in sich, ohne dass er davon
Weitere Kostenlose Bücher