Die Flipflop-Bande
und übermütig zu klingen. Er streifte das Seil ab und wollte aufstehen. Doch da sah er, wie sich Lotte auf die Lippen biss. Ganz blass sah sie plötzlich aus. »Was ist denn?«, fragte er.
Lotte brauchte eine Weile, bevor sie antworten konnte. »Meine Mama sieht auch oft traurig aus«, sagte sie leise.
Memoli sah sie fragend an.
»Jetzt weiß ich, was zu Hause los ist«, fuhr Lotte fort.Es klang, als ob sie mehr zu sich selbst sprach als zu Memoli. »Papa will uns auch verlassen. Jetzt weiß ich es.«
Sie fing an zu weinen. Dicke Tränen rollten ihr über das Gesicht, bis in den Kragen ihrer Bluse hinein, doch das war ihr egal. Und es war ihr auch egal, dass es ein Wilder Wolf war, der da den Arm um sie legte und ihr über das Haar strich. Es war gut, dass sie ihren Kummer mit jemandem teilen konnte. Und noch viel besser war es, dass es Memoli war, trotz allem, was passiert war. Lotte lehnte sich an ihn. Obwohl ihr das Herz wehtat, sah sie plötzlich, wie schön dieser Sommertag doch eigentlich war.
Ausgerechnet Memoli
Die nächsten Tage war es erstaunlich ruhig zwischen den beiden Banden. Es herrschte so eine Art Waffenstillstand. Fritzi, Hanan und Liev hatten Lotte nicht gefragt, wieso sie am Montag gemeinsam mit Memoli aus dem Wald gekommen war. Vielleicht hatten sie das Gefühl gehabt, Memoli doch arg grob behandelt zu haben, und waren froh gewesen, dass Lotte ihn freigelassen hatte. Sie ließen die Wölfe in Frieden, wenn man von den finsteren Blicken absah, die sie ihnen zuwarfen. Und die Wölfe beschränkten sich darauf, jedes Mal nach dem Essen wie die Wilden rauszurennen, um als Erste beim Baumhaus zu sein. Da hockten sie dann, baumelten mit den Beinen und triumphierten, wenn die Flipflop-Mädchen zu spät kamen.
Doch dann, am darauffolgenden Samstag, spitzte sich die Lage plötzlich wieder zu. Die Flipflops hatten ein Bandentreffen vereinbart, um 16 Uhr im Hauptquartier, und Lotte hatte extra für Liev eine Tüte Karamellbonbons gekauft. Gerade, als sie losgehen wollte, klingelte es. Mama und Papa saßen an ihren Schreibtischen und riefen durch ihre geschlossenen Zimmertüren: »Gehst du mal, Lotte?« Und als Lotte die Wohnungstür aufmachte, stand plötzlich Memoli auf der Fußmatte.
»Äh, hallo«, sagte er und kratzte sich hinterm Ohr, sodass seine schwarzen Haare noch strubbeliger abstanden als sonst.
»Hallo.« Lotte lächelte.
Memoli stopfte die Fäuste in die Taschen seiner kurzen Hosen. »Also«, sagte er, »also … na, ist ja auch egal.«
»Was denn?«
»Ich meine, wenn du keine Zeit hast … Muss ja auch nicht sein.«
Jetzt erst merkte Lotte, dass sie die Tür nur halb geöffnet hatte. So als wollte sie sie gleich wieder schließen. »Willst du reinkommen?«, fragte sie.
»Nee.«
»Und warum hast du geklingelt?« Lotte schaute Memoli neugierig ins Gesicht. Obwohl er von der Sommersonne braun gebrannt war, konnte man sehen,dass sein Hals und seine Wangen langsam rot wurden.
Memoli schob die Fußmatte mit der Spitze seines Turnschuhs hin und her. »Ich dachte, wir könnten zusammen Eis essen gehen«, sagte er.
»Jetzt?«
»Ich sag ja … wenn du keine Zeit hast, ist es auch egal.« Memoli starrte auf die Fußmatte, als ob er sich das Streifenmuster für immer einprägen wollte.
Nur eine Sekunde lang zögerte Lotte, dann hatte sie sich entschieden. Obwohl – eigentlich hatte sie gar keine Entscheidung gefällt, sondern es platzte einfach so aus ihr heraus. »Klar hab ich Zeit«, sagte sie, drehte sich um, rief lauthals »Tschüüüss, ich geh dann mal los« in den Flur hinein und zog die Tür hinter sich zu. Und dann rannten sie nebeneinander die Treppen hinunter.
Natürlich hatte Lotte die Flipflop-Bande nicht vergessen, als sie kurz darauf mit Memoli im Eiscafé saß. Irgendwo in ihrem Kopf, da spukten Hanan und Liev herum. Und vor allem Fritzi. Aber es war doch das allererste Mal, dass Memoli bei ihr geklingelt hatte. Das erste Mal, dass er ganz allein mit ihr was unternehmen wollte und sie sich einfach nur zu zweit gegenübersaßen, ohne dass ein Dutzend lärmender Hortkinder drumherumtobten.
Dann fing Memoli an zu erzählen. Von der Türkeiund dem Haus am Meer, wo sein Vater jetzt wohnte und wo er ein Kinderzimmer für ihn eingerichtet hatte. Von dem weißen Strand, den man von diesem Zimmer aus sehen konnte, und dem leuchtenden Meer und den Segelbooten.
»Mein Vater vermietet die Boote an die Touristen«, sagte Memoli. »Und ich werde ihm helfen.«
»Du willst dahin
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