Die Flirtfalle
als ich das Warten aufgeben und mich zu Fuß auf den Weg machen wollte, hörte ich eine laute Hupe und wachte auf.
Draußen hupte ein Auto.
Ich sprang hoch und rannte Hals über Kopf Justin abholen.
Nachmittags waren wir bei Mutti eingeladen. Unmengen an Kuchen und Keksen lagen auf dem Tisch.
„Liebes, möchtest du vielleicht meine Möhrentorte mit Mandeln probieren?“, fragte mich Mum. Beim Stichwort „Möhrentorte“ musste ich an Mark denken und daran, dass ich ihm noch gar nicht das Aus erklärt hatte. Rabenschwarzer Tag. Allmählich begann ich die tatsächliche Ursache für meine schlechte Laune zu begreifen: meine Brüste. Viel zu klein für Marks Geschmack. Lisa war vollbusig. Überhaupt war sie eine sehr weibliche Frau, während ich einerseits zu fett war und andererseits zu kleine Brüste hatte. Diese widerliche Körper-Metamorphose gab es bestimmt kein zweites Mal auf der Welt. Kein Wunder, dass Mark mit Lisa glücklich war und mich nur als Abwechslung für zwischendurch haben wollte.
„ Melanie, hörst du mir überhaupt zu?“
„Klar, Mum. Tue ich doch.“
Einfach unfassbar, mit was für Problemen sich manche Leute herumschlugen. Ob man die Tischkärtchen für die Hochzeitsfeier mit Blümchenmuster oder doch lieber klassisch bestellen sollte. Ob Kristina Becker auf die Einladungsliste gehört oder nicht. Tante Kristina, Muttis Cousine zweiten Grades ist eine Modedesignerin, die sich einbildete, zu den wenigen Auserwählten zu gehören, die Modekollektionen für Durchgeknallte entwerfen können. Tante Kristina, die mir jedes Jahr zum Geburtstag etwas von ihrer neuen Kollektion schickte, das so außergewöhnlich war, dass ich es nicht einmal wagte, es als Karnevalskostüm anzuziehen.
Was wohl Lisa, Anna und Leo gerade machen? Heute Abend wollten sie ausgehen. Das hatte mir Lisa berichtet. Mark konnte angeblich nicht mit. Warum auch immer. Vielleicht hatte er keine Lust, mit Lisa auszugehen, da ihn sein Liebeskummer nach mir fix und fertig machte. Oder er hatte vor, mich heute Abend anzurufen. Deswegen musste er zu Hause bleiben und sich auf das Telefonat mit mir konzentrieren. Meine weibliche Intuition sagte mir, er würde mich heute Abend anrufen – Grund genug, um meine Wohnung nicht zu verlassen. Lisa, Anna und Leo können ruhig ohne mich durch die Kneipen ziehen.
„ Melanie, möchtest du nicht meine Möhrentorte probieren? Kindchen, du wirst mir immer dünner“, hörte ich Mum sagen. Um nicht unhöflich zu erscheinen, legte ich ein Stück Torte auf meinen Teller, starrte es an und fragte mich, was wäre, wenn ich mich an dieser fetten Masse verschlucken würde. Richtig schlimm verschlucken würde. Mit Todesfolge und so. Dieser Gedanke erinnerte mich daran, dass ich noch kein Testament gemacht hatte. Wird Zeit, dass ich eines verfasse und es notariell beglaubigen lasse. Mutti soll alles kriegen, außer vielleicht das Auto. Das sollte solange in ihrer Garage bleiben, bis Justin seine Volljährigkeit erreichte und es erben konnte. In vierzehn Jahren wäre das Auto fünfundzwanzig Jahre alt – also fast ein Oldtimer. Auch Justins Sorgerecht sollte ich im Falle meines Ablebens klären. Wollte ich, dass die Behörden mein Kind in ein Kinderheim steckten oder noch schlimmer – Justin zu seinem leiblichen Vater schickten, wo er bei einer bösen Stiefmutter und zwei verwöhnten Halbgeschwistern aufwachsen müsste? Nein, das wollte ich bestimmt nicht. Das ‚Aschenputtel’ im wirklichen Leben und mit einem Jungen in der Hauptrolle. Nein, vielen Dank. Wenn, dann sollte Mum Justin kriegen. Viktor und sie wären gute Ersatzeltern.
„Komm, gib sie her!“ Mutti nahm mir die Gabel ab, die ich mir während meiner Überlegungen unentschlossen vor den Mund hielt. „Trink das“, sagte sie und stellte mir eine Tasse warmen Kakao hin. Wieder einmal zeigte Mutti ihre seltene Gabe, sich immer dann in eine Nervensäge zu verwandeln, wenn ich dringend Ruhe brauchte. Nun ja, sie meinte es nur gut mit mir.
„ Liebes, du kannst Justin bei mir übernachten lassen und heute Abend etwas mit deinen Freundinnen unternehmen. Was hältst du davon?“
Davon hielt ich natürlich nichts. Weder wollte ich ausgehen noch meinen kleinen Fratz bei Mutti aussetzen. Und das nicht nur, weil ich heute Abend ein wichtiges Telefonat erwartete.
„Mama, ich will heute bei Omi schlafen. Kann ich? Kann ich? Kann ich? Kann ich?“
„Justin, man sagt nicht ‚Ich will’, sondern
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