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Die florentinische Prinzessin

Die florentinische Prinzessin

Titel: Die florentinische Prinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher W. Gortner
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Kindern in meinen Gemächern ein. Es war das erste Mal, dass ich meinen zweijährigen Sohn für mich hatte. Der kleine François litt an einer furchtbaren Ohrentzündung und schrie so lange, bis die Ärzte ihm Opium gaben. Diane hatte seine schwache Gesundheit als Vorwand benutzt, ihn völlig an sich zu reißen, doch im Winter zog sie sich stets nach Anet zurück, da sie ihre Haut nicht dem Frost und dem rauen Wind aussetzen wollte, und ich hoffte, meinen Sohn in ihrer Abwesenheit zurückzugewinnen. Die anfängliche Freude an seinen kastanienbraunen Locken und seiner faunhaften Anmut wurde allerdings von der Erkenntnis geschmälert, dass er nicht wusste, wer ich war. Er sah mich an, als wäre ich ein Irrtum, und zuckte zurück, wenn ich ihm das Kinn anhob und sagte: »Mama, ich bin deine Mama.« Ich deutete auf Elisabeth, die in Lucrezias Armen lag. »Und das ist deine Schwester Elisabeth.«
    Er verzog den Mund. »Diaaane!«, plärrte er. »Diaaane!«
    Ich verschloss die Ohren vor seinem Geheul und ertrug seine Wutanfälle, weil er mein Kind war, mein Sohn.
    Eines frostigen Abends saß ich mit Elisabeth da und sah zu, wie er eine meiner Lauten zerstörte, als mir gemeldet wurde, der König wünsche mich zu sehen. In François’ Gemächern war die Glut in den mächtigen Kaminen am Erlöschen, und halb leere Teller und Becher stapelten sich auf der Anrichte. Hier ging es nicht mit rechten Dingen zu; noch nie hatte er Nachlässigkeit bei seiner Dienerschaft geduldet.
    Dann roch ich die Ausdünstung.
    Er saß am Fenster, und der schwarze Samt seiner Kleidung hob seine Ausgezehrtheit hervor. Der Siegellack einer Pergamentrolle, die er in der Hand hielt, klapperte, als er mich ansah. Er ließ das Pergament zu Boden gleiten. »Vor drei Tagen ist er gestorben, bei lebendigem Leibe von dem Geschwür an seinem Bein zerfressen. Er war aufgedunsen wie ein Elefant, schlug seine Minister und ließ jeden, der ihm nicht passte, über die Klinge springen. Seine letzte Frau, die sechste – sie kann von Glück sagen, dass sie ihn überlebt habt.« Ein bitteres Lächeln kräuselte seine Lippen. »Sein zehnjähriger Sohn hat als Edward der Vierte den Thron bestiegen. Wir gehen schweren Zeiten entgegen: Offenbar streiten Edwards Onkel mütterlicherseits sich jetzt schon um die Regentschaft.«
    Mit einem Kniefall erwies ich dem Tod eines Herrschers Respekt, obgleich ich fand, die Welt sei ein besserer Ort ohne Henry VIII., dessen lasterhaftes Leben uns über ein Jahrzehnt lang abgestoßen hatte.
    »Er war fünfundfünfzig«, fuhr François fort. »Drei Jahre älter als ich. Ich erinnere mich noch, wie ich ihn zum ersten Mal getroffen habe. Er war groß und reich wie Krösus; mit seinem Charme hätte er alle Teufel aus der Hölle locken können.« Er schmunzelte. »Dieser alte Fuchs Karl ist der einzig Weise von uns allen. Er weigert sich, auf seinem Thron zu verfaulen, wie wir es tun. Er sagt, er werde ins Kloster gehen, wenn er zu krank werde zum Herrschen, und sein Reich zwischen seinem Bruder Ferdinand und seinem Sohn Philipp aufteilen; Österreich und die deutschen Herzogtümer für Ferdinand; Spanien, die Neue Welt und die Niederlande für Philipp. Eine hübsche Zukunftsvision, darauf angelegt, mir so viel Verdruss wie möglich zu bereiten – obwohl er doch vernommen haben muss, dass auch ich nicht mehr sehr viel länger leben kann.«
    Ich trat an seine Seite. »Sagt so etwas nicht. Ihr müsst Euch nur ausruhen und wieder zu Kräften gelangen.«
    Er hob abwehrend die Hand. »Du hast mich nie angelogen. Wozu jetzt damit beginnen? Ich sterbe. Ich weiß es, und du weißt es auch. Du hast eine Ader für diese Dinge.«
    Ich wandte die Augen ab. Der Geruch wurde stärker, je näher ich ihm kam, eine schreckliche Erinnerung an das, woran ich nicht zu denken wagte. Wie konnte ich in einer Welt leben, in der er nicht mehr da war?
    » Ma fille«, sagte er sanft, »warum siehst du weg?«
    »Weil … ich es nicht ertragen kann, Euch so sprechen zu hören.« Die Stimme versagte mir. »Ihr werdet nicht sterben.«
    »O doch, und eher früher als später.« Er schnalzte mit der Zunge. »Nun aber Schluss mit den Tränen. Ich habe dir etwas zu sagen.«
    Ich wischte mir die Augen ab und setzte mich neben ihn.
    »Henri wird König werden«, begann er, »und du wirst Königin. Das ist der Kreislauf des Lebens: Die Sonne sinkt, der Mond geht auf. Aber welch einen Mond hinterlasse ich meinem Frankreich! Dass ausgerechnet derjenige meiner Söhne, der mir

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