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Die florentinische Prinzessin

Die florentinische Prinzessin

Titel: Die florentinische Prinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher W. Gortner
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»Ihr fragt und kennt doch die Antwort. « Abwehrend hob er die Hand. »Ich kann Euch nicht geben, was ich nicht besitze. Den Schlüssel habe ich nicht, den habt nur Ihr, denn es ist Euer Weg.«
    Er wandte sich um und ging hinaus, ließ eine seltsame Leere zurück. Ich wollte ihm nachrufen, zurückzukommen. Was nützte ein Hellseher, der in Rätseln sprach und verschwand wie Rauch? Wie konnten seine vertrackten Prophezeiungen mir jetzt noch helfen?
    Da, plötzlich, verstand ich.
    François war mein Ältester; er hatte keinen Nachkommen. Die Inseln in Zwietracht waren die Religionen. Und mein nächster Sohn, Charles – er würde ihn beerben. Er würde länger herrschen und denen widerstehen, die uns übelwollten. Ich wusste, wer sie waren: die Guises, meine Todfeinde. Ich musste kämpfen. Charles würde mich nötiger brauchen, als François es je getan hatte; ich würde seine Rechte verteidigen müssen, die Pläne jener vereiteln, die durch ihn zu herrschen und noch mehr Unfrieden über Frankreich zu bringen suchten.
    Vergiss nicht, dass Gott etwas mit dir vorhat. Ohne dich wird dieses Reich auseinanderbrechen.
    Ich war im Begriff, einen Sohn zu verlieren. Aber dafür hatte ich jetzt die Chance, sein Königreich zu retten.
    Ich ließ Birago rufen. »Sendet Briefe aus mit meinem persönlichen Siegel«, wies ich ihn an. »Schreibt an den Konnetabel, an alle Adligen, die den Untergang der Guises anstreben. Schreibt ihnen, die Königinmutter erbittet dringend ihre Anwesenheit bei Hof. Schreibt, es sei eine Frage von Leben und Tod.«
    Er nickte. »Ist Seine Majestät …?«
    »Bald«, wisperte ich. »Wir müssen bereit sein.«

    Fünf Tage später, als ich seine ausgemergelte Hand hielt, flankiert von der schluchzenden Mary und den grimmig dreinblickenden Guises, tat mein Sohn François II. seinen letzten Atemzug.
    Er war noch keine siebzehn Jahre alt.

TEIL V
1560 – 1570 Der Sturm

22
    Für Trauer hatte ich keine Zeit.
    Mit der Leiche meines Sohnes kehrten wir nach Paris zurück, wo er sogleich den Balsamierern übergeben wurde, während die verwitwete Königin Mary von ihren Verwandten auf Seiten der Guises zu ihrer Klausur in unser Stadtpalais, das Hôtel de Cluny, begleitet wurde. Passend zum Dezemberschnee, der Paris einhüllte, war über Nacht eine eisige Stille hereingebrochen.
    Ich traf sofort Vorkehrungen, Charles und meine übrigen Kinder zu schützen. Ohne meine Erlaubnis wurde niemand zu ihnen durchgelassen, vor allem nicht die Guises, und sobald ich unsere offizielle Trauer verkündet hatte, nahm ich mein zweites Ziel in Angriff.
    »Die Fürsten werden spätestens morgen hier sein«, erklärte mir Birago, als wir am Abend, ausgezehrt von den Strapazen, in meinen Gemächern zusammensaßen. »Außerdem wurden Briefe über Eure Lage an Philipp von Spanien und Elizabeth von England sowie die Prinzen von Deutschland und der Niederlande gesandt.«
    »Schön.« Ich entledigte mich meiner Halskrause. »Gibt es eine Nachricht von Königin Jeanne von Navarra?«
    Er seufzte. »Ja. Sie hat zurückgeschrieben, um Euch mitzuteilen, dass sie Euer Angebot, sie zu empfangen, prüfen wird, aber nicht glaubt, im tiefen Winter einer wochenlangen Reise durch ganz Frankreich gewachsen zu sein.«
    »Tatsächlich?«, schnaubte ich. »Na gut, mir ist das vollkommen recht. Ich habe keine Lust, mich mit ihrem Mann, diesem elenden Bourbonen, herumzustreiten. Ich habe sie nur aus Höflichkeit eingeladen, sonst nichts.«
    Birago strich sich mit der Hand über die Stirnglatze. Jetzt, mit Anfang vierzig, hatte er bereits das meiste Haar verloren, und die kahle Stirn betonte seine markanten Züge und die tief liegenden Augen, welche wie die eines Raubvogels stets auf der Hut waren. »Madama, so ungern ich das sage, aber ich glaube nicht, dass wir Antoine den Bourbonen unterschätzen sollten. Von Rechts wegen muss Charles bis zu seiner Volljährigkeit ein Prinzregent an die Seite gestellt werden. Antoine ist von königlichem Blut. Er kommt in der Linie der Thronfolger gleich nach Euren Söhnen. Da er zudem der katholischen Kirche angehört, könnte er Euch den Anspruch auf die Regentschaft durchaus streitig machen.«
    Ich presste ein Lachen hervor, während ich zu meinem Stuhl schlurfte. Meine Beine schmerzten von der Eiseskälte, die überall im alten Louvre-Palast herrschte und gegen die auch mit noch so vielen Kaminfeuern nichts auszurichten war. »Nach dem letzten Stand der Dinge hat Antoine nur einen Glauben: Wein und Laster. Eine Laus

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