Die Flotte von Charis - 4
wäre es ihm sogar lieber gewesen, wenn er ihn nicht einmal sich selbst eingestanden hätte.
.VI.
Hafen von Tellesberg und Königlicher Palast, Tellesberg, Königreich Charis
Keine Salutschüsse wurden abgegeben, als die kleine, unbewaffnete Galeone sich ihren Weg zwischen den Molen vor Tellesberg bahnte … aber wenigstens eröffnete auch keine der Geschützbatterien das Feuer auf sie.
Und das ist, so sinnierte Trahvys Ohlsyn, deutlich besser, als es hätte werden können.
Graf Pine Hollow stand an der Reling des Schiffes und blickte zur Stadt Tellesberg hinüber, während hoch über ihm Möwen und Wyvern lautstark kreischten und pfiffen. Wie bei den meisten Häfen, war auch hier in der Nähe der Docks das Wasser alles andere als sauber, auch wenn die strengen Weisungen, die der Erzengel Pasquale über Abwässer und Abfall verkündet hatte, wenigstens das Schlimmste verhinderten. Eigentlich, dachte Pine Hollow, riecht der Hafen besser als die ganze Eraystor Bay − und das, obwohl Tellesberg deutlich größer war als die Stadt Eraystor.
Tatsächlich war dies die größte Stadt, die Pine Hollow jemals gesehen hatte − von Zion selbst natürlich abgesehen. Ihre Dächer erstreckten sich vom unglaublich geschäftigen Hafengelände bis zu den Bergen, die im Süden und Südosten aufragten; auf ihren Gipfeln schimmerte das ewige Eis. Das Gelände mit den Lagerhäusern war gewaltig; zwischen den Gebäuden lagen schnurgerade Straßen, die offensichtlich auf schwere Frachtkarren und Last-Drachen ausgelegt waren. Die meisten der Wohngebäude, die sich dicht an die Lagerhäuser schmiegten, sahen recht bescheiden aus. Kleine Einfamilienhäuser sah Pine Hollow nicht, doch die mehrstöckigen Gebäude, die zahlreichen Mietern Platz boten, wirkten recht gepflegt. Die meisten von ihnen schienen aus Stein erbaut zu sein, und von seinem derzeitigen Standpunkt aus hatte Pine Hollow nicht das Gefühl, ein Elendsviertel zu betrachten. Auch das empfand er als beeindruckend, wenngleich er sich sicher war, selbst in der Stadt Tellesberg, unter der geradezu berühmt-berüchtigt ›aufgeklärten‹ Herrschaft des Hauses Ahrmahk, müsse es zumindest einige auch davon geben.
Jenseits des Piers − das sich so weit den Telles hinauf zu erstrecken schien, wie sein Auge reichte − bedeckte die Stadt mehrere kleine Hügel, auf denen offensichtlich die Wohlhabenderen lebten. Dort, ein Stück weit vom Hafengebiet entfernt, gab es sehr wohl auch Einfamilienhäuser. Einige von ihnen waren besonders beeindruckend − ganz offensichtlich handelte es sich dabei um die Stadtvillen der reichsten Händler und Manufaktureigner (was hier in Charis wahrscheinlich das Gleiche war), doch andere waren deutlich bescheidener. Um ehrlich zu sein, empfand Pine Hollow die Tatsache, dass es diese bescheideneren Häuser überhaupt gab, deutlich beeindruckender als jene Stadtvillen. In fast jedem anderen Reich auf ganz Safehold war es nahezu undenkbar, dass jemand, der nicht zu den Wohlhabendsten und Einflussreichsten gehörte, überhaupt sein eigenes Haus in einer derart großen und reichen Stadt wie Tellesberg besaß.
Der Königliche Palast war deutlich zu erkennen, als Pine Hollows Galeone auf den Kai zuhielt, den man ihnen als Ankerplatz angewiesen hatte. Der Palast lag ein wenig vom Ufer entfernt − der Fluss umspülte die westliche Mantelmauer −, doch nicht so weit, dass jemand, der aus dem Fenster einer der Türme blickte, nicht die ganze Bucht hätte einsehen können. Pine Hollows Blick fiel auf das große Banner, das über dem höchsten dieser Türme flatterte. Das Sinnbild dieses Banners konnte er von seinem Standort aus zwar nicht erkennen, doch das brauchte er auch nicht: Selbstverständlich prunkte darauf der goldene Kraken auf schwarzem Hintergrund, und darüber musste sich die königliche Krone befinden. Dass dieses Banner über jenem Turm aufgezogen war, verriet allen Bewohnern von Tellesberg, dass König Cayleb in seiner Heimatstadt residierte − und bei diesem Gedanken krampfte sich unwillkürlich Pine Hollows Magen zusammen.
Stell dich nicht dümmer, als du bist, herrschte er sich selbst an. Der einzige Grund, warum du überhaupt hier bist, ist doch, dass du Cayleb persönlich begegnen sollst, du Idiot! Wenn man es so betrachtet, ist sich zu wünschen, er wäre derzeit an irgendeinem anderen Ort − ganz egal, an welchem −, doch einfach verdammt lächerlich.
Doch aus irgendeinem Grund sorgte das nicht dafür, dass sich sein Magen wieder
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