Die Flotte von Charis - 4
dafür, dass die tropische Luft hier sich stetig bewegte. Die dicken Außenmauern des Saales waren von tiefen Fenstern durchbrochen, von denen aus man einen Hof einblicken konnte, den kunstvoll anzulegen Caylebs mittlerweile verstorbene Mutter mehrere Jahre verbracht hatte. Der gesamte Palast war in gewisser Weise in einem Zwischenstadium königlicher Architektur entstanden. Seine Fundamente waren von dicken, durchdacht angelegten Mantelmauern aus massivem Stein umgeben, aus denen sich in regelmäßigen Abständen befestigte Wachtürme erhoben, doch diese Wände stammten aus einer Zeit vor der Weiterentwicklung der Artillerie, und so waren die davon umgebenen Höfe als Orte angelegt, in denen man leben konnte, nicht als das Innere einer grimmigen, einförmiggrauen Festung. Eines Tages, das hatte Merlin ihm erzählt − und dieser Tag würde sogar schon bald kommen − würden derartige massige Mauern der Vergangenheit angehören. Für die Art der Artillerie, die schon bald Alltag sein sollten, wären altmodische Mauern wie jene, die den Palast von Tellesberg umschlossen, für einen Angreifer, der es wirklich ernst meinte, kaum mehr als nur ein unbedeutendes Ärgernis.
Cayleb riss sich zusammen, um ein weiteres Abschweifen seiner Gedanken zu verhindern, stützte die Ellbogen auf die Armlehnen seines Thrones und legte dann die Fingerspitzen seiner Hände gegeneinander, so wie er es bei seinem Vater in eben diesem Thronsaal unzählige Male gesehen hatte. Bei dem Vater, dessen Tod zumindest teilweise ebenso in der Verantwortung jenes Mannes lag, der vor ihm stand, wie in der jenes Prinzen, dem dieser Mann hier diente.
»Also«, sagte der König schließlich in das erwartungsvolle Schweigen hinein, »Sie hätte ich kaum hier erwartet, Mein Lord. Oder zumindest nicht als Gesandten.«
Diese Aussage entsprach nicht ganz der Wahrheit, schließlich hatte Merlin Cayleb dank dieser ›Visionen‹ bereits vor mehr als drei Fünftagen darüber unterrichtet, dass Pine Hollow eintreffen werde. Tatsächlich kannte Cayleb die Anweisungen, die Nahrmahn dem Grafen Pine Hollow erteilt hatte, mindestens ebenso genau wie dieser Emeraldianische Graf selbst. Nicht, dass er die Absicht hatte, Pine Hollow das auch nur erahnen zu lassen.
Das würde schließlich der Inquisition einen triftigen Grund liefern zu glauben, ich würde mich mit Schwarzer Magie und anderen verbotenen Künsten befassen, dachte er nüchtern. Ihm war nicht entgangen, dass die letzten fünf Worte, die er ausgesprochen hatte, Pine Hollow kaum merklich hatten zusammenzucken lassen. Das war gut!
»Aber jetzt, wo Sie hier sind«, sprach Cayleb nach einer kurzen, bedeutungsschwangeren Pause weiter, die genau diese Worte noch einmal betonen sollte, »sollten wir uns wohl anhören, was Sie zu sagen haben.«
»Euer Majestät …« Pine Hollows Stimme klang für die gegebenen Umstände geradezu belobigenswert ruhig. »Ich bin zuversichtlich, dass Ihr einen Grund für diesen recht dramatischen, unangekündigten Besuch zumindest vermuten werdet.«
»Da Sie in einem offiziellen Schiff eingetroffen sind, gehe ich davon aus, dass Sie nicht hier sind, um sich offiziell von Nahrmahn abzuwenden und mir und ganz Charis Ihre persönliche Treue zu schwören«, gab Cayleb nüchtern zurück.
»Nein, das nicht, Euer Majestät.« Ruhig hielt Pine Hollow Caylebs Blick stand, und unwillkürlich verspürte der jugendliche Monarch zumindest einen Anflug an Respekt, als er die Standfestigkeit in den Augen des Emeraldianers erkannte. In gewisser Weise lag in dem Blick seines Besuchers sogar ein stillschweigender Tadel für die Leichtfertigkeit, die der König von Charis soeben an den Tag gelegt hatte.
»Nein, das glaube ich wohl auch nicht«, bestätigte Cayleb mit deutlich ernsthafterer Stimme. »Angesichts des militärischen Kräfteverhältnisses zwischen diesem Königreich und dem Fürstentum Ihres Herrn − und dessen Verbündeten, natürlich −, kann ich mir eigentlich nur einen Grund vorstellen, weswegen Sie hierher aufgebrochen sind. Und das, Mein Lord, ist ein Gespräch darüber, welche Kapitulationsbedingungen Prinz Nahrmahn glaubt, hier aushandeln zu können.«
»Im weitesten Sinne ist das gewiss richtig, Euer Majestät.« In einer kurzen, zustimmenden Verbeugung neigte Pine Hollow den Kopf.
»Unter diesen Umständen darf ich darauf hinweisen, dass er seinerseits nicht allzu viel anzubieten hat«, sagte Cayleb. »Ich meine das nicht despektierlich: Ihre Flotte hat im Darcos-Sund
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