Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)
Momente abmaß, immer und immer wieder für ihn umdrehte. Ja, er fürchtete sich regelrecht davor, die im Bodennebel liegende, feuchte Landschaft würde bald ein Ende finden, das Pferd könnte von Müdigkeit überwältigt oder die schöne Maid von einem dringenden Bedürfnis geplagt werden. Jedwede Unterbrechung dieser fantastischen Situation, welche dem Gaukler wie der wunderbarste Traum seines Lebens erschien, wäre ihm ein Graus. Regino wollte so weitermachen, bis ans Ende seiner Tage einen jeden Augenblick auskosten, niemals mehr essen und trinken, niemals mehr rasten, niemals mehr ankommen. Er wollte einfach nur bleiben, was er in diesem Moment zu sein vorgab: ein Ritter, der im Licht des Morgens mit seiner Herzensdame durch die Auen ritt.
Doch dann kam Fips.
Noch am gestrigen Abend, als Regino sich von dem Ordensritter Konrad von Tiefenbrunn bedroht gefühlt und um sein Leben gebangt hatte, da wäre ihm ein Wiedersehen mit dem verschlagenen Fips wie ein Segen erschienen. Denn Fips hätte sich in dieser Bedrängnis gewiss besser zu helfen gewusst als der verunsicherte Gaukler. Deshalb auch war Regino in der Nacht, als er sich zur Flucht aufmachte, der Überzeugung gewesen, dass es das Beste sei, sich bei dem Rheinländer zu entschuldigen und sich ihm wieder anzuschließen. Doch dann hatte er diese Kleidungsstücke angezogen, und aus dem Pfeifer Regino von Bunseborn war ein anderer Mensch geworden.
Auch Elisabeth, die nicht lange gebraucht hatte, um den Fluchtbereiten davon zu überzeugen, sie mitzunehmen, war diese Verwandlung nicht verborgen geblieben. Mit dem Gewand eines Ritters hatte sich nicht nur die äußere Gestalt Reginos verändert, nein, er hatte sich auch innerlich gewandelt und gebärdete sich– wie es sich für einen guten Schausteller geziemte– wahrhaftig wie ein edler Krieger. Männlicher war er nun, ruhiger in seinen Bewegungen, kraftvoller in seiner Stimme und fester in seinem Griff, mit dem er galant die Hüfte der jungen Frau umschlungen hielt. Wären ihm die Kleider nicht zu groß gewesen, hätten sie nicht um Arme, Brust, Bauch und auch um die stockartigen Beine herumgeweht wie die Fahnen im Winde, so hätte Elisabeth diesen Mann, mit welchem sie nun bereits die halbe Nacht hindurch ziellos gen Süden ritt, tatsächlich für einen Herrn von Stande gehalten.
Ja, auch sie genoss diese Stunden, die nicht nur die Fantasie des Schaustellers, sondern auch die rege Vorstellungswelt eines seine gesamte Jugend über hinter Stiftsmauern eingesperrten Mädchens beflügelten. Und so erschrak nicht nur Regino, sondern auch Elisabeth gewaltig, als sich ihnen plötzlich eine verwahrloste Gestalt in den Weg warf und somit das perfekte poetische Bild beschmutzte und zerstörte.
» Na, wenn Kleider mal keine Leute machen « , krächzte Fips und hielt sich den Bauch vor Lachen, während die wie aus Marmor gehauenen, erhabenen Züge Reginos plötzlich zu bröckeln begannen und sein gewohntes, stets nervöses Gesicht mit den ewig umherschweifenden Augen und den zuckenden Mundwinkeln zum Vorschein kam. Aus der Ritterstatue war wieder ein Mensch geworden. Ein rascher, schmerzhafter Vorgang, der Regino durchaus bewusst wurde, gegen den er aber nichts ausrichten konnte.
Vitus Fips bellte noch immer vor Lachen, beruhigte sich dann aber ganz plötzlich, wurde ernst, und ehe Regino sich’s versah, war der verkrüppelte Mann zum Pferd geeilt und zog mit einem brutalen Handgriff die kreischende Elisabeth vom Rücken des Tieres herunter.
Regino ließ es geschehen. Noch immer war er wie gelähmt von der eigenen, fast schmerzhaften Rückverwandlung.
Es war furchtbar, widerwärtig, was Fips nun mit dem Mädchen auf dem feuchten Boden der Saale-Auen anstellte. Doch als er nach einiger Zeit von ihr abließ und sie wimmernd liegen blieb, konnte er sicher sein, in dem jungen Ding tatsächlich eine Jungfrau vor sich zu haben. Denn Vitus Fips kannte eine Methode, dies auf zwar abstoßend erniedrigende, aber dennoch unbeschädigende Weise festzustellen.
Regino hatte bloß zugeschaut.
Er war angewidert von dem, was er sah. Elisabeth tat ihm schrecklich leid. Doch was sollte er tun?
Machtlos war er, konnte sich nicht regen, konnte lediglich auf dem gestohlenen Ross sitzen bleiben und hoffen, dass Fips ihm verzieh und ihn wieder an seinem Plan teilhaben ließ.
» Warum bist du fortgegangen? « , fragte Fips, nun ausgiebig das Pferd prüfend, mit welchem er nicht weniger zimperlich umging als zuvor mit dem Mädchen. Er
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