Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)
verabschiedete er sich nicht, zu groß war seine Scham. Er verfolgte den gleichen Weg, den er gekommen war, nur fühlte er jetzt das Gegenteil von all dem, was er auf dem Hinritt verspürt hatte. Aus Freiheit war Bedrängnis geworden, aus Stärke eine entsetzliche Ohnmacht, und aus Edelmut unglaubliche Feigheit. Er ging zurück, dem Verderben entgegen, ausgerüstet mit einem Auftrag, den er nur widerwillig verfolgte, den er aber ausführen musste, denn in den Händen von Vitus Fips befand sich nun eine dem Gaukler teuer gewordene Geisel.
Ach, wäre doch diese schreckliche Feigheit nicht, dann hätte Regino den Widerling längst erwürgt. Doch er wagte es nicht. Wieder einmal hatte er leidvoll einsehen müssen, dass er ohne diesen Fips nicht zurechtkam. Er brauchte ihn, und auch wenn sie nur wenig miteinander gemein hatten, so war beiden eines in jedem Falle eigen: die Habgier. Ja, leider glänzte es in Reginos Gedanken nur allzu schön: das Gold in der verborgenen Höhle, tief unten in den unergründlichen Schluchten eines fernen Gebirges. Dies war ein greifbarer Traum, ein Wunschbild, welches tatsächlich zu verwirklichen sein könnte. Und darum musste Regino weitermachen. Er konnte nicht anders.
» Regino! « , hörte er plötzlich eine schrille Stimme hinter sich schreien. » Regino! Lass mich nicht zurück! «
Durch Mark und Bein fuhr es ihm. So sehr, dass er sich die Ohren zuhielt und noch rascher weitermarschierte. Doch das Schreien blieb. Es blieb so lange, bis es mit einem Male jäh abbrach.
Regino weinte und begann nun im Laufschritt weiterzueilen. Fort von ihr und hin zu seinem Auftrag.
Wäre dieser erst erfüllt, dann, ja dann, würde alles wieder gut werden. So war es bisher doch immer gewesen…
Es wäre ein Leichtes gewesen, den letzten Lagerplatz seiner ihm folgenden und nun verlassenen Schar wiederzufinden, denn immerhin hätte Regino lediglich dem Lauf der Saale folgen müssen. Aber dennoch: Er verlief sich. Tagelang irrte er nun schon umher und machte dafür die zahlreichen Seitenarme des Flusses verantwortlich, die ihn so sehr verwirrten, dass er glaubte, sich in einer verwunschenen Welt wiederzufinden, in der sich plötzlich alles gegen den bisherigen Glückspilz Regino von Bunseborn verschworen zu haben schien. Zunächst war er viel zu weit in den Norden gegangen, so weit, dass er das Lager bereits mehrere Meilen hinter sich hatte. Die dortigen Dörfer und Höfe hatte er gemieden, wollte niemanden um Hilfe bitten, er schämte sich so sehr. Einen ganzen Tag und eine Nacht lang hatte er sogar regungslos unter der riesigen Wurzel eines umgestürzten Baumes verbracht, zusammengekauert, schluchzend, den Himmel verfluchend. Dann war er wieder zurückmarschiert, war teils diesem, teils jenem bräunlichen Seitenarm gefolgt, ohne sein Gehirn auch nur ein wenig anzustrengen, um wenigstens die Himmelsrichtung, in die er lief, zu bestimmen. Gleichgültig war er geworden und sich selber schrecklich fremd. Irgendwann, am Nachmittag des siebenten, achten, neunten oder auch zehnten Tages– Regino hatte längst zu zählen aufgehört– hatte er versucht, sich wieder zusammenzureißen. Mit letzten Kräften entschied er sich, einem Flusslauf nachzugehen, von dem er aus unerfindlichem Grund glaubte, dass dieser ihn zu seiner Gruppe zurückführen würde. Doch der Nebenfluss endete bloß wieder in einem düsteren Sumpf, was bei dem mittlerweile dem Wahnsinn nahen Regino zu einem lauten Wutanfall führte, in welchem er den gestohlenen Helm des Ritters Konrad zornentbrannt in das bräunlichgrün brodelnde Nass warf.
» Ich will nicht mehr! « , schrie er dem versinkenden Helm nach. » Ich will nicht mehr! Zurück gehe ich. Zurück zu Mutter und Bruder. Kreuzweise könnt ihr mich, ihr Fipsen, ihr tumben Bauernlümmel, ihr schönen Jungfrauen. Kreuzweise kannst auch du mich, du schnödes Gold! Großer, allwissender Gott « , nun wandte er sich mit ausgebreiteten Armen gen Himmel und warf sich in den schlammigen Boden auf die Knie, » du hast mir eine schmerzhafte Lehre erwiesen. Zeig mir nur an, wohin ich gehöre. Zeig es mir nur! Ja, in den Schoß der alten Mutter gehöre ich, in mein bescheidenes Dorf, auf den armen Hof meines verstorbenen Vaters. «
Es war ein imposantes Schauspiel, welches Regino hier in der Einsamkeit und ganz ohne zahlende Zuschauer darbot, und wäre er nicht gar so verzweifelt gewesen, dann hätte er sich sehr gut in dieser Rolle gefallen. Aber trotz des ihm eigenen zur Maßlosigkeit
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