Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)
drei Meilen legten sie an diesem Tag auf ihrem Marsch zurück, der sie nun weiter in den Südosten und hoffentlich bald zur Elbe führen sollte.
Ihr wieder zu ihnen gestoßener Anführer erwies sich als ungewohnt feinfühlig und ruhig. Regino sprach bedächtig und wirkte zurückhaltend. Er kümmerte sich rührend um die entsetzlich trauernde Anna und hatte auch für die anderen stets Worte des Trostes. Bereits am frühen Abend gelang es ihm sogar, für seine ermatteten Leute Herberge in einer kleinen Siedlung zu finden, einem abgelegenen Flecken, der lediglich aus drei Gehöften bestand.
Marie glaubte nicht an eine tatsächliche Wandlung des Gauklers. Sie war sich sicher, dass er auf seiner hinter ihm liegenden Irrfahrt genug Zeit gehabt hatte, den Kreuzritter Crispin zu studieren, welchen er sich nun zum Vorbild nahm. Denn er ähnelte diesem Mann in seinem neuen Betragen und selbst in seiner neuen Mimik sehr. Ja, dem talentierten Schausteller gelang es, den frommen Ordensmann aufs Trefflichste nachzuahmen. Ob dieses Verhalten nun ehrlich war oder nicht, es schadete ihnen zumindest nicht. Im Gegenteil, es tat ihnen gut. Denn sie alle waren Regino dankbar, als sie es sich noch vor Einbruch der Dunkelheit in einer Scheune, die gefüllt war mit frischem Heu, bequem machen durften.
Es hatte den Gaukler einiges gekostet, die über die Ankunft fremder Herumtreiber nicht glücklichen Hofbewohner davon zu überzeugen, dass von ihnen nichts zu befürchten war. Er zahlte ihnen zur Bekräftigung dieser Überzeugung drei Silberlinge, einen Haufen Geld, den er aus dem wohlgehüteten Fundus des bestohlenen Ritters Konrad nahm.
Das war es ihm wert: Immerhin wollte er das Vertrauen seiner gebeutelten und so unglücklich dezimierten Leute zurückgewinnen. Und außerdem hatte er vor, sie noch einmal für einige Tage zu verlassen. Und an diesem Ort, in diesem frischen Heu und ausgestattet mit dem Proviant der gütigen Nonnen würden sie gewiss nicht darben.
Ja, Regino musste noch einmal fort. In die Stadt Halle musste er ziehen, dorthin, wo er mit Fips verabredet gewesen war. Es gab wenig Hoffnung, dass sich dieser noch an jenem Ort aufhielt. Zu viel Zeit war mittlerweile verstrichen. Aber was sonst blieb Regino übrig? Er musste beide finden: die schöne, verlassene Elisabeth, die sich gewiss nach Errettung sehnte, und auch die Karte, die goldene, welche der Widerling Fips noch immer unter seinem schmutzigen Wams trug. Das Stiftsfräulein zu befreien gebot ihm die Ehre, und die Karte an sich zu nehmen gebot ihm die Pflicht, denn ohne sie würde ihre Reise, die nun zu einer Flucht vor dem Sterben geworden war, so oder so kein glückliches Ende nehmen. Das Überleben allein reichte Regino nicht, nein, er wollte der wahre Held dieser Unglücklichen werden. Er wollte nicht nur dem Schicksal einen Streich spielen und dieser über Europa ziehenden Bestie entkommen, er wollte am Ende auch als güldener Prinz dastehen. Und diese armen Gestalten, die sich soeben ermattet ins Heu betteten, sollten seine pausbackigen, dickbäuchigen Untertanen werden. Aber dazu brauchte er Fips, und ebendiesen galt es wieder ausfindig zu machen.
Doch allein wollte Regino nicht gehen. Auf keinen Fall. Am liebsten wäre es ihm sogar gewesen– und kurz spielte er auch mit diesem Gedanken–, andere mit dem Auftrag zu betrauen, Fips zu suchen, unschädlich zu machen und ihn dann seines unverdienten Schatzes zu entledigen. Aber der Gedanke an die zarte Elisabeth und die Schuld, die er mit ihrem Zurücklassen auf sich geladen hatte, verbot Regino, andere vorzuschicken. Dieses Mal musste er selber gehen, aber wie gesagt, nicht allein. So weit ging der Mut dann doch nicht.
Seine Wahl fiel auf Marie und Johann.
Marie war längst in das Vorhaben eingeweiht, und Johann ein kräftiger, mutiger Bursche, der es im Zweifelsfall besser mit dem wendigen Fips aufnehmen könnte als Regino, welcher zwar ein guter Tänzer, aber beileibe kein guter Kämpfer war.
Ja, Marie und Johann würden ihn nach Halle begleiten, während sich der klägliche Rest unter der Obhut Majas an diesem abgelegenen kleinen Ort eine gute Zeit machen könnte, um sich von den Strapazen und Trauerfällen der letzten Wochen zu erholen.
So entschied Regino. Und kurz nach dem wohlverdienten Abendbrot – welches dank der spendablen Zisterzienserinnen aus einer herrlich duftenden Erbsensuppe, Brot und etwas Wurst bestand–, kurz danach verkündete Regino sein Vorhaben, kleidete es natürlich in andere
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