Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)
großen Plage, vor der sie auf der Flucht seien. Eine Plage, die bereits breite Teile ihrer alten Heimat heimgesucht habe. Und auch dieses Mädchen redete nun davon.
Mathilde hatte ihr Einlass gewährt, weil sie sich an diesem Tage schrecklich langweilte. Wahrscheinlich hätte sie auch den nächstbesten Bärenführer oder Feuerspucker zu sich vorgelassen, aber da solche heute ausblieben, hörte sie sich die Geschichte dieses hübschen Kindes an, aus dessen Mund eine meilenweite Galerie von Ahnen herausgesprudelt kam. So etwas konnte sich keine dahergelaufene Schwindlerin einfach so ausdenken, und da Mathilde etwas von edlen Kleidern und feinen Stoffen verstand, so war ihr zudem nicht entgangen, dass das Mädchen sehr teure Unterwäsche trug. Zwar hatte sie nichts weiter als Unterwäsche am Leibe, doch diese war eindeutig aus bester irischer Wolle gefertigt, eine Ware, welche man in dieser Gegend nur gegen sehr hohen Transportaufschlag über die Hanse erhalten konnte.
Handelte es sich bei dem unfrisierten, ungewaschenen jungen Ding tatsächlich um die Tochter eines Grafen von Steinberg, so wäre das eine Geschichte, die Mathildes tristen Tag bereichern könnte. Deshalb war sie durchaus geneigt, ihre Zweifel zu begraben und dieser Adelheid Glauben zu schenken. Was tat man nicht alles für ein wenig Zerstreuung?
» Ihr habt also Euer gesamtes Gefolge durch eine Seuche verloren? « , fragte Mathilde nun.
Adelheid hüllte sich noch fester in ihre Decke. Es war ein sonniger Tag, aber dennoch ließen Aufregung und Sorge sie bibbern. Und die kalten Burgmauern taten ihr Übriges, denn sie trugen nicht gerade dazu bei, die seltene Sommerwärme einzulassen. Sie überlegte, wie sie antworten sollte. Da sie ihre wahre Identität durch das Herbrabbeln ihrer Ahnentafel bereits preisgegeben hatte, so konnte sie gleich bei der Wahrheit bleiben. Immerhin hatte sie es mit einer freundlichen und hilfsbereiten Gastgeberin zu tun, und zudem war Lügen eine Fähigkeit, zu der Adelheid selbst dann, wenn sie es gewollt hätte, nicht imstande gewesen wäre.
» Es handelte sich nicht um mein Gefolge, hohe Frau. Vielmehr haben sie mich aufgenommen « , stammelte sie hinter blauen Lippen hervor.
» Sie? Wer waren sie? «
Musste man diesem Kind denn alles aus der Nase ziehen? Mathilde hatte sehr viel mehr erwartet. Sie hatte sich gefasst gemacht auf eine dramatische Geschichte über Tod und Leidenschaft, sie stellte sich vor, das junge Fräulein sei vielleicht von einer wilden Räuberbande überfallen, ihre Mägde geschändet und ihre Wachleute erdolcht worden. Aber nein, wie ein stummer Fisch saß sie nun da, bewegte ihr Mündchen, doch heraus kam so gut wie nichts. Da war ja das Aufzählen des Stammbaumes noch spannender gewesen.
» Zunächst war es nur eine Gruppe von Bauern, die in das Gebiet jenseits des Riesengebirges ziehen wollten, um dort zu siedeln « , sprach Adelheid weiter. Den ungehaltenen Blick Mathildes hatte sie gar nicht bemerkt.
» Und warum habt Ihr Euch ausgerechnet solchen Leuten angeschlossen? « Mathildes Miene verriet wieder Enttäuschung und sogar ein wenig Ekel. Langweilige Bauern. Da würde sie ja lieber mit Zigeunern gehen, die versprachen wenigstens noch lustigen Zeitvertreib.
Adelheid wurde sehr verlegen. Am liebsten hätte sie sich geweigert, auf diese Frage zu antworten, doch dann flüsterte sie ganz leise: » Ich bin geflohen. Aus dem Stift zu Quedlinburg. «
» Was sagt Ihr? Sprecht bitte lauter, mein Kind. «
» Ich bin aus dem Stift zu Quedlinburg geflohen. «
Mathildes rundes Gesicht erhellte sich mit einem Male. Nun wurde die Sache doch noch spannend. Sie spürte, dass man die Wahrheit nur behutsam aus diesem Mädchen herauskitzeln könnte, und deshalb entschied sie sich für ein vertrauliches Herangehen:
» Auch ich war einst ein Stiftsfräulein. Erschreckend zermürbend kann ein solches Leben sein. Wie oft habe ich doch des Nachts davon geträumt, dass ein junger Held kommt, um mich zu befreien… « , seufzte Mathilde und schielte mit einem Auge zu Adelheid herüber. Diese errötete tatsächlich. Wunderbar, Mathilde glaubte, den Nagel auf den Kopf getroffen zu haben.
» Wer war Euer Held, mein Kind? Ist auch er an der Plage gestorben? « , fragte sie nun mit gespielt bekümmertem Gesicht.
Adelheid schüttelte den Kopf: » Mein Wunsch ist es, den Schleier für immer zu nehmen. Doch das behagt meiner Familie nicht. Darum bin ich gegangen. «
Mathilde schmunzelte hinter schmalen Lippen.
»
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