Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)
sehen gewesen. Ulrich hatte im ersten Moment befürchtet, seine Frau könnte sich erneut diesem Untier angeschlossen haben, doch das schien nicht der Fall zu sein. Zwar fehlte somit auch weiterhin jedes Lebenszeichen von ihr, doch lieber wartete Ulrich noch einige Wochen ab, als dass er sie als Begleiterin von Vitus Fips hätte vorfinden wollen.
» Zehn Meilen, und dann treffen wir uns wieder. Der dritte Teil der Beute ist für dich « , war nun wieder der Geißlerführer namens Reinhold zu vernehmen. » Ich vertraue dir. «
» Du kannst mir vertrauen. Wo soll ich das Zeug verstecken? Du darfst mich gern durchsuchen, wenn wir uns wiedersehen « , antwortete Fips.
» Wer weiß, ob du nicht irgendwo eine Kiste vergräbst, die du auf dem Rückweg wieder an dich nimmst. Dir traue ich einiges zu, Fips « , meinte der andere, woraufhin Maja in ihrem Versteck bestätigend nickte.
» Rückweg? Für mich gibt es keinen Rückweg. Bis zum Altvater werde ich euch begleiten, und dann trennen sich unsere Wege, Reinhold. «
» Nun gut. Von da an muss ich mir einen neuen Vertrauten suchen, der sich um die verlassenen Häuser meiner Schar kümmert « , lachte Reinhold nun und entblößte dabei riesige, gesunde Zähne.
» Aber fünf musst du mir mindestens dalassen. Kräftige junge Burschen. Keine Hungerhaken mit entzündeten Wunden. Arbeiten sollen sie können « , raunte nun Fips.
» So haben wir es abgemacht, und daran werde ich mich halten. Jetzt muss ich gehen. Meine Leute warten auf mich. Sie sollen ja nicht misstrauisch werden. «
» Geh nur! « , rief Fips dem anderen nach, während dieser bereits durch die dunkle Stalltüre, zu welcher der Mond hineinschaute, verschwunden war.
Nun war Fips allein, allein mit seinen beiden verborgenen Beobachtern, die bemüht waren, keinen Laut von sich zu geben. Eine Weile schaute der Narbenmann sich suchend in dem Stall um. Schließlich fing er an zu reden.
» Dann wollen wir uns mal an die Arbeit machen, meine lieben Freunde. Wo seid ihr nur? Versteckt ihr euch etwa vor mir? Ich weiß doch, dass ihr hier irgendwo sein müsst « , zischte Fips mit seiner unangenehmen Stimme, der er jedoch einen fast liebevollen Unterton verlieh.
Maja und Ulrich duckten sich noch tiefer hinter den Trog. Ihre beiden alten Herzen rasten. Was sollten sie jetzt tun? Er hatte sie also die ganze Zeit über bemerkt, dieser verschlagene Fuchs…
Gerade hatte Maja all ihren Mut zusammengenommen und wollte sich zeigen, als Fips auf einmal begeistert ausrief: » Da seid ihr ja, ihr kleinen Strolche. Väterchen dachte schon, ihr wäret davongelaufen. «
Er bückte sich, streckte eine Hand nach unten auf den Boden und ließ zwei bunte Ratten über seinen Arm nach oben bis zur Schulter laufen, wo sie es sich in seinem Nacken bequem machten.
» Pfui Teufel « , flüsterte Ulrich, während Maja erleichtert aufatmete.
Sie warteten, bis Fips in dem angrenzenden Wohntrakt verschwunden war, dann erst streckten sie ihre müden, eingeschlafenen Knochen aus.
» Ich schlage vor « , meinte Maja nun, » wir schließen uns dem Beelzebub an und begleiten ihn heimlich bis zu seinem Ziel. Immerhin ist es auch das unsere und er ein kundiger Führer. «
Ulrich nickte. Ausnahmsweise fielen dem ewig Skeptischen dazu keinerlei Einwände ein. Stattdessen erweiterte er Majas Einfall sogar noch um einen Vorschlag, der die Alte sehr überraschte:
» Weißt du, Maja, als ich jung war, sagte man mir nach, ich sei der beste Bogenschütze weit und breit. Es ist nicht schwer, sich einen Bogen zu bauen. Und ein einziger Pfeil sollte genügen. «
Maja verstand und lächelte.
» Bis zum Altvatergebirge, guter Ulrich, hast du noch genug Zeit, dich in dieser Kunst wieder zu üben. Und wenn es so weit ist, sollte tatsächlich ein Pfeil genügen. Mitten hinein ins schlechte Herz, und es hat endlich ein Ende mit diesem Unhold. «
Und damit klopfte sie ihrem Begleiter freundschaftlich auf die knochige Schulter.
XXX III
W eit und breit noch immer kein Dorf, keine Siedlung, nicht einmal mehr Pfade, nur Gebirgszüge mit ihren teils schroffen, teils sanften Höhen und Tiefen. Die südlichen Hänge des Riesengebirges waren zermürbend. So wunderschön sie sich in dieser Verlassenheit auch darboten, so mühselig wurde das Marschieren über Felsbrocken, Bäche und Abhänge schließlich doch, denn besonders Marie verlangte es nach einem weichen, trockenen Lager und einer warmen Mahlzeit. So waren sie auch alle erleichtert, als sie von ihrem
Weitere Kostenlose Bücher