Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)
wie vor verwirrt, doch in den Augen der beiden Frauen konnte er durchaus erkennen, dass sie begriffen hatten, was der schlaue Filzhut da im Schilde führte. Er machte sich den Aberglauben der Einheimischen zunutze, um sie möglichst weit von dem Ort fernzuhalten, an dem die Gruppe in Kürze, sobald auch der letzte Schnee geschmolzen war, die Goldhöhle zu finden und zu nutzen gedachte.
Wie schlau dieser einfache Bauer doch war.
Aber dennoch: Die Geschichte, welche der greise Schwabe aus Hotzenplotz erzählt hatte, sie war damit nicht unglaubwürdiger geworden.
Wer sagte denn, dass es diese Winselmütter nicht tatsächlich gab? Die Weiße Frau aus dem Moor bei der Oldenburg– sie war erstunken und erlogen, aber die wandelnden, weiblichen Geister im Altvater konnten durchaus echt sein.
Und so plagte alle, bis auf Ulrich, auch noch lange nach diesem Abend in der Hütte ihres Gastgebers aus Hotzenplotz die Angst vor ebendiesen Geistern. Besonders als sie sich nach der Schneeschmelze aufmachten, um sich immer tiefer und tiefer in den unbewohnten Wald vorzuwagen und damit der besagten Dachsschlucht von Stunde zu Stunde näherrückten.
Nur Regino hatte offenbar seine Furcht vergessen, als er nun, nach tagelangem, endlos langem Marsch durch verwachsenen Urwald ebendiesen Ort erreichte: die besagte Dachsschlucht.
» Das muss sie sein, Ulrich. Ich bin mir sicher. Gib mir die Karte. Bitte. «
Regino streckte die Hand aus, doch Ulrich machte keine Anstalten, die Karte aus der Hand zu geben. Er war nun ebenfalls an der steil abfallenden Kante angekommen, die den Blick tatsächlich tief in eine dunkle, unheimliche Schlucht freigab, gefüllt mit vermoosten Gesteinsbrocken und unzähligen hinabgestürzten Bäumen. Da war kein Höhleneingang zu erkennen, keine gülden leuchtende Pforte, nicht einmal ein Felsenloch. Doch auch Ulrich war sich sicher, dass sie nun ihr Ziel erreicht hatten. Denn die Karte, die er von Konrad erhalten hatte und nun genau studierte, besagte ebendies: Sie waren tatsächlich am Ziel!
» Marie! Wir haben es geschafft. «
Ulrich nahm seine schwangere Frau, die sich nun auch mühsam die letzten Schritte durch das Gehölz kämpfte, liebevoll in Empfang.
» Oh « , sagte Marie, als auch sie hinabblickte. Ähnliche Laute des Erstaunens und der Enttäuschung entfuhren sowohl Maja als auch Johann, die als Letzte eintrafen.
Lange standen sie allesamt an dem Abgrund und blickten stumm hinunter. Ein jeder mit seiner eigenen, ganz persönlichen Vision vor Augen.
Regino hoffte auf Ruhm und Ehre.
Ulrich hoffte auf Ruhe und Zufriedenheit.
Maja auf Sicherheit und Frieden.
Johann indes hoffte noch immer auf die Liebe, aber angesichts dieser Wildnis konnte er sich nicht vorstellen, dass das zarte Burgfräulein Adelheid es jemals bis hierher schaffen würde. Er müsste auf sich selbst vertrauen, genug Gold schürfen, um sich ein schönes Ross, ein gutes Schwert und eine schwere Rüstung kaufen zu können. Erst dann, nach vielen, vielen Jahren, in denen er sich seine Sporen verdient hätte, würde er es wagen, Adelheid zu finden, um sie aus den Fängen ihres ungeliebten Gemahls zu befreien und zu entführen.
Und Marie?
Marie war weit entfernt davon, sich derart romantischen Tagträumen hinzugeben. Sie hatte sie verloren, die Liebe, und sie glaubte nicht einmal in ihren glücklichsten Momenten daran, sie jemals wiederzufinden. Dafür war Ulrich wieder da. Dieser vertraute, treue Freund, dieser redliche Mann, der so viel erduldete, so viel verzieh. Ihr Verhältnis zueinander hatte sich geändert, seitdem er Vitus Fips getötet und Maries ungeborenes Kind somit gerettet hatte. Es war ein innigeres, liebevolleres Verhältnis geworden. Sie spürte, dass Ulrich nicht mehr von ihr erwartete, und das machte das Zusammensein mit ihm leichter, ungezwungener, ja sogar lustiger. Marie fühlte sich nicht mehr wie sein Weib, konnte es nicht, jetzt, wo sie das Kind eines anderen unter dem Herzen trug. Und Ulrich schien dies hinzunehmen. Mitunter hatte Marie sogar den Eindruck, dass es ihm nicht einmal schwerfiel, dass nun auch ihm eine Last genommen war und er es genoss, mit ihr jetzt in reiner, ungezwungener Freundschaft umzugehen. Er hatte ihr sogar von seinem Zusammentreffen mit Konrad erzählt und auch nicht verschwiegen, dass dieser gefesselt gewesen war.
Marie hatte diese Nachricht erschüttert, warf sie doch ein ganz anderes Licht auf den Fortgang Konrads, der womöglich nicht freiwillig gewesen war. Waren seine Worte
Weitere Kostenlose Bücher