Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)
war, schritt von Haus zu Haus und suchte das persönliche Gespräch mit einem jeden für sein Vorhaben geeigneten Dorfbewohner. Auch bei dem Bauern Filzhut klopfte er an, sich tief vor dessen schöner Frau verneigend und sie eindringlich in Augenschein nehmend. Wieder war die Ansprache, die er hielt, sehr beeindruckend, und Maries Hoffnung, Ulrich zu überzeugen, groß. Doch der sture Mann ließ sich einfach nicht zum Gehen überreden und gab dem ungebetenen Gast alsbald zu verstehen, dass er sein bescheidenes Heim zu verlassen habe.
Regino ging nicht, ohne den beiden zu sagen, dass sie ihn, falls sie es sich anders überlegen sollten, in der Stadt Höxter ausfindig machen könnten, von wo aus die Reise in den Osten beginnen sollte.
Als Marie ihn dann zur Tür begleitete, wurde der Pfeifer plötzlich verlegen und unruhig. Nervös wackelte er mit seinen schellenbehangenen Armen und warf Marie einen kurzen, mitleidigen Blick zu, während er den Kopf einzog, um durch die niedrige Luke ins Freie zu treten. Nach kurzem Zögern raunte er: » Ich spüre, dass ihr mit mir gehen wollt. Aber lasst es euch gesagt sein: Ich bin nicht sicher, ob dieser Weg gut für dich ist, liebe Frau. Entscheide selbst und lass mich nicht derjenige sein, der dich dazu überredet hat. «
Das war vor zwei Tagen gewesen. Und am heutigen Abend– so hatte es sich gerade herumgesprochen, als Marie ihrem Manne den Topf mit der dampfenden Suppe vorsetzte–, am heutigen Abend waren einige junge Leute nicht in ihre Elternhäuser zurückgekehrt. Darunter zwei Mädchen und auch der fröhliche Johann.
» Sieben sind es mittlerweile, vielleicht sogar acht. Ich habe die alte Erika belauscht, wie sie es der Bäuerin Krautkopf über den Zaun zurief « , sagte Marie, nachdem auch sie sich zu ihrem Gatten an den kleinen, wackligen Tisch gesetzt hatte und ihren Holzlöffel in die Schüssel tauchte. » Die beiden frechen Schmiedesöhne sind dabei und auch die Tochter vom Ziegenbart, die schöne Lisa. Sie soll mit dem Müllerjosef gegangen sein. Ebenso Anna Richling. Man sagt, sie fliehe vor ihrem Stiefvater, der sie seit dem Tod der Mutter nicht in Ruhe lasse. «
» Sollen sie doch gehen und sich die Hörner abstoßen. Die Jugend muss leidliche Erfahrungen machen, bevor sie zur Ruhe kommt « , schmatzte Ulrich daraufhin bloß.
Marie betrachtete ihn lange. Sie hatte nicht gewagt, ihn noch einmal zu fragen, zu entschieden war er, zu eingefahren seine Meinung. Niemals würde dieser sture Kerl seine Heimat verlassen und seinen bescheidenen Hof aufgeben, nicht einmal jetzt, da ihm alle seine Erben gestorben waren. Ulrich war ein Eingesessener, und er würde ein Eingesessener bleiben, zu alt war er bereits und dazu zu misstrauisch. Stets sah er in allem das Schlechte und war somit unfähig, ein Abenteuer zu wagen und einen Neubeginn in Angriff zu nehmen. Und so war auch Marie geblieben. Vorerst. Sie hatte es Ulrichs wegen getan. Aber auch die letzten Worte Reginos hatten sie zögerlich gemacht.
Warum nur hatte der Pfeifer so seltsam zu ihr gesprochen? Wieso sollte der Weg nicht gut für sie sein? Lag es etwa daran, dass er einen dem Greisenalter sich nahenden Mann wie Ulrich in seiner Schar nicht gebrauchen konnte? Aber wieso hatte er dann nur von ihr, von Marie, geredet? Und weshalb war er so nervös, ja zittrig, gewesen? Selbst sollte sie eine Entscheidung fällen, hatte er ihr geraten.
Marie konnte sich keinen Reim darauf machen, und darum wollte sie den Spielmann so rasch wie möglich vergessen. Ausharren würde sie noch eine Weile, ausharren und hoffen, dass der Himmel alsbald eine Lösung für sie bringen würde.
Lustlos tauchte sie ihren Löffel erneut in die Schüssel. Sie verspürte plötzlich keinen Hunger mehr. Ein seltsam vertrautes, ungutes Gefühl bemächtigte sich ihrer. Es war wieder einmal dieser Drang, dieser plötzliche Wunsch zu gehen, um allein mit sich und ihren Sorgen zu sein.
» Was starrst du, Marie? Iss. Die Suppe wird kalt « , knurrte Ulrich. Marie schüttelte nur mit starrem Blick den Kopf. Unruhig erhob sie sich dann von ihrem Platz, nahm sich ihren Mantel aus Schaffell und ging zur Türe.
» Ich habe ganz vergessen, das Brennholz hereinzutragen. Es sieht nach Regen aus, und ich will nicht, dass es nass wird. «
Ulrich knurrte leise und schaute Marie lange geduldig nach. Er wusste, dass das Brennholz nur ein Vorwand für seine Frau war, um sich davonzuschleichen. Er wusste aber auch, dass es sie nicht zu einem anderen Manne
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