Die Flucht: Roman (German Edition)
Eichenhaine, nur felsige Hänge und verwitterte Flanken.
Wie vom Alten vorhergesagt, erreichte er das Eichenwäldchen, noch bevor die Sonne am Horizont aufleuchtete. Er band den Esel an einen tiefhängenden Zweig einer Kermeseiche und watete durch ein Polster gezähnter Blätter und leerer Eichelfruchtbecher bis zum nördlichen Waldrand. Vom Schatten der letzten Bäume geschützt richtete er seinen Blick auf das Dorf. Nicht mehr als zwanzig Häuser zu beiden Seiten des Wegs und eine einsame Kirche zwischen dem Wäldchen und dem Dorf. Wenige Meter von der Kirche entfernt ein Gelände umgeben von einer Lehmmauer, hinter der drei Zypressen aufragten. In der von der Seite wehenden Brise wiegten sich die Wipfel wie aufgestellte Pinsel, und auch die Zweige über seinem Kopf raschelten im Wind. Eine taube Eichel fiel auf das Laubbett, und plötzlich überkam ihn der Hunger. Kein Hinweis auf Leben im Dorf. Er erkannte Umzäunungen, Gehege vielleicht, aber keine Tierlaute. Er dachte, das Dorf könnte unbewohnt sein oder es sei noch zu früh für belebte Straßen. Er beschloss, sich ohne den Esel auf eine erste Erkundungstour zu begeben, um sich möglichst unbemerkt fortbewegen zu können, und später, wenn die Situation es erlaube, das Tier zu holen, es mit Wasser zu beladen und zurück zur Burg zu führen.
In der Morgendämmerung marschierte er quer über das Feld, immer darauf bedacht, nicht zu stolpern. Noch trennten seine Stiefel ihn vom nackten Boden, doch eine Sohle hatte sich bereits von der Spitze gelöst, und jetzt drang Sand ein. Als er sich bückte, um den Stiefel auszukippen,bemerkte er die verbliebenen Ruß- und Blutflecken auf seinen Handrücken. Sofort tastete er mit den Fingerspitzen seine Wangen ab und spürte den Schorf, der sich an den wunden Stellen zu bilden begann. Der Wind drehte, und die frische Morgenbrise fuhr ihm durch die zerfetzten Hosenbeine. Sein Körper stank. Wenn es irgendwo im Dorf einen Hund gab, würde sein Gebell nicht lange auf sich warten lassen.
Beim Gedanken an Hunde wurde ihm flau im Magen. Der Polizeiwachtmeister ließ sein Anwesen von einem schwarzbraunen Bluthund bewachen. Ohren wie Stacheln am steinernen Kopf und mit pechschwarzer Schnauze, die ihm die Kleidung zerwühlte und ihn ins Wanken brachte. Nur zu oft hatte der Polizeiwachtmeister ihn mit dem Hund erpresst, wenn er sich seinen Wünschen widersetzte. Er krümmte sich, fasste sich zitternd an die Beine und machte sich in die Hose.
Das Tageslicht hellte die Umgebung auf und entlockte der Landschaft neue Formen. Die restliche Wegstrecke, die ihn noch von dem Friedhof mit den drei Zypressen trennte, legte er auf allen vieren zurück. Der Sand blieb an den feuchten Stellen zwischen seinen Schenkeln haften. Als er die Mauer erreichte, richtete er sich auf und ging zur östlichen Ecke um das Gelände herum. Von dort aus konnte er einige Häuser im Dorf sehen, aber keinen Brunnen, da die Kirche ihm die Sicht versperrte. Geduckt überwand er das letzte Stück zwischen Friedhof und Gotteshaus, bis er das Vordach erreichte, das dem Portal Schatten spendete. Wie in seinem Heimatdorf waren die Säulen, die das Vordach trugen, durch Bänke aus Bruchsteinverbunden, mit Ausnahme einer Lücke, die den Zugang zur Kirche freiließ. Der ganze Platz ein einziger Blätterteppich, von einer nahen Akazie herübergeweht und zu Füßen der Bänke vom Wind durcheinandergewirbelt. Die aus einer Angel gelöste Tür drohte herabzustürzen. An der staubigen Wand entlang umrundete er das Gebäude bis zur Apsis. Unterwegs stieß er auf zerbrochene Dachziegel und Mauersteine und hegte keinen Zweifel, dass die Kirche verlassen war. Eine Erkenntnis, die ihn gleichermaßen beruhigte und ängstigte. Er dachte, wahrscheinlich gebe es gar keine Dorfbewohner mehr, vor denen er sich verbergen müsse. Doch wenn alle fort waren, konnte das auch bedeuten, dass es kein Wasser mehr gab. Vor der Apsis bezog er Stellung, um den Blick über das gesamte Dorf zu nutzen. Aus der Entfernung erkannte er eingefallene Dächer, ausgehängte Fenster und irgendwo auch einen Mähdrescher, ein Gerät aus Holz und Eisen wie ein vom Dickicht verschlucktes trojanisches Pferd.
Er betrat das Dorf auf demselben Weg, der ihn bis zum Eichenhain geführt hatte, bevor er das letzte Stück quer über das Feld gelaufen war. Zu beiden Seiten der sandigen Straße traf er nur auf verrammelte Häuser oder herausgebrochene Türen, durch die sich der immer gleiche Anblick bot. Von der Decke
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