Die Flucht
auf nichts zu hören.
»Was, wenn dies das Opfer ist?« , fragt der Junge.
Ich blicke auf. »Welches Opfer?«
»Das Opfer, das du in seinem Lärm gesehen hast« , sagt der Junge. »Das Opfer, das ... «
»Weshalb ausgerechnet hier?«, frage ich. »Warum sollte er einen so weiten Weg zurücklegen, um dann mitten in einem blöden Wald anzuhalten, und es hier tun?«
Die Miene des Jungen bleibt ausdruckslos. » Vielleicht muss er es jetzt tun «, sagt er, » bevor sie stirbt. «
»Stirbt? Woran denn?« Meine Stimme überschlägt sich, mein Kopf schmerzt und dröhnt.
» An ihrer Angst «, sagt der Junge und tritt einen Schritt zurück. » Und aus Enttäuschung. «
Ich wende mich ab. »Dir höre ich gar nicht zu.«
»Zuhören, Todd?«, bellt Manchee. »Viola dort, Todd.«
Ich lehne mich wieder an den Baumstamm. Ich muss nachdenken. Ich muss verdammt noch mal nachdenken.
»Wir können uns nicht anschleichen«, sage ich mit belegter Stimme. »Er hört uns kommen.«
»Wenn er uns kommen hört, bringt er sie um« , sagt der Junge.
»Mit dir rede ich nicht.« Ich würge Schleim herauf, das macht mich schwindelig, und ich muss noch stärker husten. »Ich rede mit meinem Hund«, stoße ich hervor.
»Manchee«, sagt Manchee und leckt meine Hand. »Und ich kann ihn nicht töten«, sage ich.
» Du kannst ihn nicht töten «, sagt der Junge.
»Nicht einmal, wenn ich wollte.«
» Nicht einmal, wenn er es verdiente .«
»Also muss es einen anderen Weg geben.«
» Wenn sie sich nicht zu sehr vor dir ängstigt .«
Ich sehe ihn an. Noch immer ist er da, mit Buch, Messer und Rucksack.
»Du musst gehen«, sage ich. »Du musst mich verlassen und darfst niemals wieder zurückkommen.«
» Wahrscheinlich kommst du zu spät, um sie zu retten .« »Du bist mir überhaupt keine Hilfe.« Meine Stimme wird lauter.
» Aber ich bin ein Mörder «, entgegnet er. An seinem Messer klebt Blut.
Ich schließe die Augen und knirsche mit den Zähnen. »Du bleibst hier und kommst nicht mit«, sage ich. »Du bleibst hier zurück . «
»Manchee ?«, bellt Manchee.
Ich schlage die Augen auf. Der Junge ist nicht mehr da. »Du nicht, Manchee.« Ich strecke die Hand aus und kraule ihn hinter den Ohren. »Du nicht«, sage ich noch einmal.
Ich denke nach. Zwischen den dicken Wolken, den Wirbeln, dem Flimmern, dem Licht und den Schmerzen, dem Dröhnen, Zittern und Husten, denke ich nach.
Und ich denke.
Ich kraule meinen Hund hinter den Ohren, meinen blöden, gottverdammten, räudigen, großartigen Hund, er plötzlich da war, obwohl ich ihn niemals haben wollte. Der mir durch den Sumpf gefolgt ist und Aaron gebissen hat, als er versuchte, mich zu erwürgen, und der Viola gefunden hat, als sie sich verlaufen hatte. Der meine Hand leckt mit seiner kleinen rosafarbenenZunge und dessen Auge noch halb zugeschwollen ist, weil Prentiss junior ihn getreten hat, und dessen Schwanz jetzt viel, viel kürzer ist, weil Matthew Lyle ihn verstümmelt hat, als mein Hund, mein Hund hinter einem Mann mit einer Machete herrannte, um mich zu retten. Mein Hund, der immer da ist, wenn mich jemand aus der Dunkelheit zerren muss, in die ich manchmal stürze. Jemand, der mir sagt, wer ich bin, wann immer ich es vergesse.
»Todd.« Er reibt sein Gesicht an meiner Hand und trippelt auf der Stelle.
»Ich habe eine Idee«, sage ich.
» Was ist, wenn sie nicht funktioniert? «, fragt der Junge hinter einem Baum hervor.
Ich beachte ihn gar nicht und hole das Fernglas. Ich zittere, aber ich finde Aarons Lagerplatz wieder und suche seine Umgebung ab. Sie sind nahe am Ufer. Auf dieser Seite des Flusses, nicht weit von ihnen entfernt, steht ein gespaltener Baum, ausgebleicht, ohne Blätter, als hätte ihn vor Zeiten der Blitz getroffen.
Der wird genügen.
Ich setze das Fernglas ab und nehme Manchees Kopf in beide Hände. »Wir werden sie retten«, sage ich zu meinem Hund. »Wir beide.«
»Retten, Todd«, bellt er und wedelt mit seinem Schwanzstummel. »Viola retten.«
» Es wird nicht klappen «, sagt die Stimme hinter mir.
»Dann bleib einfach hier«, sage ich zu mir selbst und werde von einem Hustenanfall geschüttelt. In Gedanken schicke ich dabei meinem Hund Bilder, die ihm erklären, was zu tun ist. »Ganz einfach, Manchee: Lauf, lauf einfach.«
»Laufen und laufen!«, bellt er.
»Guter Junge.« Ich kraule ihn wieder hinter den Ohren. »Guter Junge.«
Ich raffe mich auf, gehe, rutsche und stolpere bis zu der verlassenen Siedlung. Mein Kopf schwirrt, ich höre
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