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Die Flucht

Titel: Die Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
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Spackle«, beginnt Ben. »Das gleich zu Anfang. Der Bazillus war schon da, als wir landeten. Er ist eine Naturerscheinung. Er ist da, war da und wird immer da sein. Wir stiegen aus unseren Raumschiffen, und schon am nächsten Tag konnte jeder hören, was der andere denkt. Stellt euch die Verblüffung vor.«
    Gedankenversunken hält er inne.
    »Nicht jeder«, sagt Viola.
    »Nur die Männer«, sage ich.
    Ben nickt. »Niemand weiß, warum. Bis heute. Die meisten Wissenschaftler, die uns begleiteten, verstanden nur etwas von Landwirtschaft, und die Ärzte fanden keine Erklärung, deshalb herrschte eine Zeit lang heillose Verwirrung, ihr könnt es euch gar nicht vorstellen. Chaos und Durcheinander und Lärm, Lärm, Lärm.« Er kratzt sich am Kinn. »Viele Männer machten sich auf und siedelten in weit abgelegenen Gegenden, sie wollten weg von Haven, so schnell wie man nur Straßen bauen konnte. Aber bald erkannten die Leute, dass sie machtlos waren gegen den Lärm, und deshalb versuchten wir alle für eine Weile, mit dem Lärm zu leben, so gut es eben ging. Wir fanden verschiedene Möglichkeiten, damit fertig zu werden, in manchen Orten ging man völlig eigene Wege. Soauch wir, als wir erkannten, dass selbst unser Vieh redete, unsere Haustiere, die einheimischen Lebewesen.«
    Er blickt zum Himmel, dann über den Friedhof, den Fluss und die Straße.
    »Alles auf diesem Planeten spricht zueinander«, fährt er fort. »Einfach alles. Das ist es, was New World ausmacht: Informationen, immerzu, nie versiegend, ob du willst oder nicht. Die Spackle wussten das, sie entwickelten sich damit weiter, aber wir waren nicht geschaffen für so ein Leben. Nicht einmal annähernd. Zu viel Information kann einen Menschen in den Wahnsinn treiben. Zu viel Information wird zu Lärm. Und der hört nie, nie auf.«
    Er hält inne, aber der Lärm macht natürlich keine Pause, so wie immer, sein Lärm und mein Lärm, und dazu gesellt sich Violas Stille, die ihn nur noch lauter erscheinen lässt.
    »Mit den Jahren«, fährt Ben fort, »wurde das Leben überall in New World schwerer und schwerer. Missernten und Krankheiten, nirgends Wohlstand, nirgends ein Garten Eden. Alles andere als ein Garten Eden. Da begann eine Irrlehre sich im Land auszubreiten, ein Gift, ein Wahn, der die Schuld für das Unglück bei anderen suchte.«
    »Sie machten die Außerirdischen dafür verantwortlich«, rät Viola.
    »Die Spackle«, sage ich und da spüre ich sie wieder, meine Scham.
    »Sie machten die Spackle dafür verantwortlich«, bestätigt Ben. »Und aus der Irrlehre wurde eine Bewegung und aus der Bewegung wurde Krieg.« Er schüttelt den Kopf. »Sie hatten nicht die leiseste Chance. Wir hatten Gewehre, sie nicht, und das war das Ende der Spackle.«
    »Nicht von allen«, sage ich.
    »Nein«, stimmt er mir zu. »Nicht von allen. Aber sie haben ihre Lehren daraus gezogen und kommen den Menschen nicht mehr allzu nahe, das kannst du mir glauben.«
    Ein Windhauch weht über die Lichtung, und als er sich legt, kommt es mir vor, als seien wir drei die letzten Menschen in New World. Wir und die Geister auf dem Friedhof.
    »Aber mit dem Krieg ist die Geschichte noch nicht zu Ende«, sagt Viola leise.
    »Nein«, sagt Ben. »Damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende, sie ist noch nicht einmal zur Hälfte erzählt.«
    Ich weiß, wie sie weitergeht. Ich weiß, worauf alles hinausläuft.
    Ich habe es mir anders überlegt. Ich will nicht, dass er sie zu Ende erzählt.
    Und ich will es doch.
    Ich suche Bens Blick, lese in seinem Lärm.
    »Mit den Spackle war der Krieg noch nicht zu Ende«, sage ich. »Nicht in Prentisstown.«
    Ben fährt sich mit der Zunge über die Lippen, ich spüre Unsicherheit in seinem Lärm, Hunger und Kummer, und ich merke, dass er schon an unseren bevorstehenden Abschied denkt.
    »Der Krieg ist ein Ungeheuer«, spricht er weiter. »Krieg ist ein Teufel. Wenn er einmal sein Maul öffnet, dann frisst und frisst und frisst er immer weiter.« Er blickt mich an. »Krieg macht aus ganz normalen Menschen Ungeheuer.«
    »Sie konnten die Stille nicht ertragen«, sagt Viola leise. »Die Männer konnten es nicht ertragen, dass Frauen alles über sie wussten, sie aber nichts über die Frauen.«
    »Manche Männer dachten so«, bestätigt Ben. »Aber nicht alle. Ich nicht und Cillian auch nicht. Es gab auch rechtschaffene Männer in Prentisstown.«
    »Aber es gab auch genügend andere«, sage ich.
    »Ja«, nickt er.
    Schweigen tritt ein. Ehe sich uns die ganze

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