Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Flucht

Titel: Die Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
Vom Netzwerk:
aus. »Aber die anderen müssen doch ... irgendetwas getan haben!«
    »Wenn etwas nicht vor deiner eigenen Haustür passiert«, sagt Ben, »dann ist es am einfachsten, du sagst: Weshalb soll ich mich einmischen und mir Ärger einhandeln? Zwischen uns und dem Rest von New World liegt der Sumpf. Der Bürgermeister ließ verkünden, dass Prentisstown eine verschlossene Stadt sei, verdammt dazu, eines langsamen Todes zu sterben. Wir mussten uns damit einverstanden erklären, die Stadt niemals zu verlassen, und falls wir es je täten, würde er uns gnadenlos verfolgen und uns mit eigener Hand töten.«
    »Haben es die Leute denn nicht versucht?«, fragt Viola. »Haben sie denn nicht versucht zu fliehen?«
    »Und ob sie es versucht haben«, sagt Ben. »Es war nichts Ungewöhnliches, wenn Leute verschwanden.«
    »Aber du und Cillian, ihr wart doch unschuldig«, protestiere ich.
    »Wir waren nicht unschuldig«, widerspricht mir Ben, und plötzlich hat sein Lärm einen bitteren Beigeschmack. Er seufzt. »Das waren wir nicht.«
    »Was meinst du damit?« Die Übelkeit in meinem Magen will nicht weggehen. »Was meinst du mit: Ihr wart nicht unschuldig?«
    »Ihr habt es geschehen lassen«, sagt Viola. »Ihr seid nicht zusammen mit den andern Männern gestorben, die die Frauen beschützen wollten.«
    »Wir haben nicht gekämpft«, gibt er zu, »und wir sind nicht mit den anderen gestorben.« Er schüttelt den Kopf. »Wir sind ganz und gar nicht unschuldig.«
    »Warum habt ihr nicht gekämpft?«, frage ich.
    »Cillian wollte kämpfen«, sagt Ben rasch. »Ich möchte, dass du das weißt. Er wollte alles tun, was er konnte, um ihnen Einhalt zu gebieten. Er hätte sein Leben dafür gegeben.« Er schaut zur Seite. »Aber ich ließ es nicht zu.«
    »Warum nicht?«
    »Ich verstehe«, flüstert Viola.
    Ich schaue sie an, denn ich kapiere gar nichts. »Was verstehst du?«
    Viola wendet ihren Blick nicht von Ben ab, als sie leise zu mir sagt: »Entweder mussten sie für das, was Recht war, sterben und dich als schutzloses Baby zurücklassen, oder sie machten sich zu Komplizen des Unrechts um dein Leben zu beschützen.«
    Ich weiß nicht, was Komplizen sind, aber ich kann’s mir vorstellen.
    Sie haben es für mich getan. Sie haben den Schrecken auf sich genommen. Für mich.
    Ben und Cillian. Cillian und Ben.
    Sie haben es getan, damit ich lebe.
    Ich weiß nicht, was ich davon halten soll.
    Es müsste doch so einfach sein, recht zu handeln.
    Gerechte Taten dürften doch nicht im gleichen Unheil enden wie unrechte.
    »Also warteten wir«, erzählt Ben weiter. »In einem Gefängnis so groß wie eine ganze Stadt. Voll von dem widerlichsten Lärm, den man je gehört hat, ehe Männer ihre eigene Vergangenheitverleugneten und ehe der Bürgermeister mit seinen größenwahnsinnigen Plänen auftrat. Also warteten wir auf den Tag, an dem du alt genug sein würdest, um auf eigene Faust zu fliehen, und dabei solltest du so unschuldig sein wie nur möglich.« Er fährt sich mit der Hand über den Kopf. »Aber der Bürgermeister hat auch gewartet.«
    »Auf mich?«, frage ich, obwohl ich es genau weiß.
    »Auf den letzten Jungen, der zum Mann wird«, sagt Ben. »Wenn ein Junge zum Mann wurde, dann hat man ihm die Wahrheit gesagt. Oder was sie für die Wahrheit hielten, egal. Und damit wurde er zum Mitwisser gemacht.«
    Ich erinnere mich an seinen Lärm, damals auf der Farm, an seine Gedanken über meinen Geburtstag und darüber, wie ein Junge zum Mann wird.
    Ich weiß nun, was Komplizenschaft in Wahrheit bedeutet und wie man jemanden zum Komplizen machen kann.
    Wie diese Mitwisserschaft nur darauf wartete, an mich weitergegeben zu werden.
    Ich sehe die Männer, die ...
    Ich will nicht mehr daran denken.
    »Das ist doch Unsinn«, sage ich.
    »Du warst der Letzte«, erklärt Ben. »Wenn er es schafft, jeden Jungen in Prentisstown nach seinen eigenen Vorstellungen zum Mann zu machen, dann ist er wie Gott, nicht wahr? Wir alle sind seine Geschöpfe und wir alle unterliegen seinem Willen.«
    »Wenn einer von uns fällt«, sage ich.
    »Dann fallen wir alle«, beendet Ben den Satz. »Deshalb ist er hinter dir her. Du bist ein Symbol. Du bist der letzte unschuldige Junge aus Prentisstown. Wenn er dich zu Fall bringt,dann ist seine Armee vollständig und ganz nach seinem Willen geformt.«
    »Und wenn nicht?«, frage ich, wenngleich ich nicht weiß, ob ich nicht bereits gefallen bin.
    »Wenn nicht«, sagt Ben, »wird er dich umbringen.«
    »Also ist Bürgermeister

Weitere Kostenlose Bücher