Die Flüchtende
konnte ihr Auge und ein Stück dieses fürchterlichen Ponys sehen.
«Dann eben nicht.»
Sie hängte den Hörer ein. Der Mann lächelte betreten und ging. Sie musste jetzt weg von hier. Lieber ärgerlich als ängstlich, aber sie durfte nicht übermütig werden.
Von nun an würde sie nie wissen, wer ihren Namen kannte und warum.
Wie, zum Henker, hatten sie sie bloß Sibylla taufen können?
Es war nicht schwierig gewesen, dorthin zu finden. In der Zeitung war so ausführlich über Jörgen Grundbergs Leben berichtet worden, dass sie fast seine Memoiren hätte schreiben können.
Die Bahnfahrt nach Eskilstuna hatte nicht lange gedauert. Den größten Teil davon hatte sie auf der Toilette verbracht. Nachdem der Schaffner alle Fahrkarten kontrolliert und die Tür aufgeschlossen hatte, war sie hinausgetreten und hatte sich in ein Abteil gesetzt. Ihr unvermutetes Eintreten schien niemand zu beachten. Seit sie entdeckt hatte, dass einer der Aufsätze ihrer Lockenbürste wie geschaffen dafür war, verschlossene Toilettentüren in Zügen zu öffnen, hatte sie sich ab und zu einen kleinen Ausflug gegönnt. Solange der Zug noch auf dem Stockholmer Hauptbahnhof stand, schlich sie sich hinein und versteckte sich auf der Toilette. Erst ein einziges Mal hatte ein Schaffner sie entdeckt und in Hallsberg hinausgeworfen. An dem Ort war aber weiter nichts auszusetzen gewesen.
Aus irgendeinem Grund ging es ihr schon viel besser. Vielleicht weil sie beschlossen hatte, die Situation unter Kontrolle zu bekommen. Vielleicht weil sie ihre letzten Kronen für einen Hamburger ausgegeben hatte.
Grundbergs Haus war groß und von einer meterhohen Mauer aus den gleichen weißen Betonsteinen umgeben, mit dem auch die Fassade des Hauses verkleidet war. Der Gartenweg war von zierlichen Außenleuchten gesäumt und führte zu einer mahago- nifarbenen Haustür, die sich von den schwarz gebeizten Fensterrahmen abhob. Auf dem Dach saß eine der größten Parabolantennen, die sie je gesehen hatte.
Das ganze Anwesen posaunte den Neureichtum nur so heraus.
Sie stand lange vor der Mauer und zögerte. Um keine Aufmerksamkeit zu erregen, drehte sie ein paar Runden um das Viertel, und dieser Spaziergang brachte sie dazu, einen Entschluss zu fassen. Sie war nun bis hierher gefahren. Also konnte sie genauso gut hineingehen und sich Klarheit verschaffen. Mit dem Kopf war der Entschluss jedoch leichter gefasst als mit den Beinen, besonders wenn man sich auf der anderen Seite des Viertels befand. Vor der großen Villa verließ sie der Mut nämlich wieder. Die dunklen Scheiben in den schwarzen Fensterrahmen. Wie feindliche Augen starrten die sie an, sahen sie dort stehen und zögern.
Die Haustür ging auf.
«Sind sie von der Presse?»
Sibylla schluckte.
«Nein.»
Sie öffnete die Gartenpforte und ging den Weg entlang, ohne die Frau in der offenen Tür anzusehen. Auf halbem Weg zur Außentreppe kam sie an einem meterbreiten Teich mit einer römischen Marmorfrau in der Mitte vorbei. Vermutlich verspritzte sie Wasser, wenn die Jahreszeit es zuließ. Im Moment schien sie eher zu frieren.
Sibylla ging die letzten Schritte bis zum Haus und blieb unten an der Treppe stehen, die zur Tür führte. Sie schluckte erst einmal, bevor sie den Blick hob und die Frau vor sich ansah.
«Ja?»
Sie wirkte ungeduldig.
«Entschuldigen Sie bitte die Störung, aber ich suche Lena Grundberg.»
Die Frau verlagerte das Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Sie war so um die vierzig und sah Aufsehen erregend gut aus.
«Das bin ich.»
Sibylla wurde unsicher. Sie wusste nicht, was sie eigentlich erwartet hatte. Sie hatte gedacht, vielleicht die Seelsorgerin vom
Dienst abgeben oder von einer Krisengruppe oder etwas Ähnlichem sein zu können, darüber hatte sie in der Zeitung gelesen, und einfach zu der trauernden Witwe zu gehen und ihr Trost zu spenden. Diese Frau hier wirkte jedoch ebenso gefasst wie die Marmorfrau in dem Springbrunnen.
«Worum geht es?»
Ihr Ton war leicht gereizt. Ungeduldig. So als wäre sie mitten aus einem spannenden Spielfilm herausgerissen worden. Sibylla musterte die Frau und nahm eine rasche Einschätzung vor. Hier versuchte man sich besser von unten her einzuschleichen.
«Ich heiße Berit Svensson. Ich weiß, dass ich ungelegen komme aber ... ich komme, weil ich Sie um Hilfe bitten möchte.»
Sie senkte schüchtern den Blick, und als sie wieder aufsah, hatte die Frau die Brauen zusammengezogen. Sibylla fuhr fort.
«Ich konnte ja nicht umhin,
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