Die Flüchtlinge
Gesicht dem Licht zu und hieß den alles betäubenden Nebel willkommen.
Ozchan war oben und kümmerte sich um ihren Vater. Er hatte sich während des Tages ein wenig zuviel zugemutet, und der Arzt war der Meinung, daß es ein paar Stunden dauern konnte, bis er sein Gleichgewicht wiederfand. Meya dachte darüber nach und trat mit den Füßen gegen die Verandastufen. Ozchan kümmerte sich um ihn. Sie dachte an seine langen, geschickten Finger, fragte sich, wie sie sich wohl auf ihrer Haut anfühlen mochten, und fröstelte. Er kam von einer fremden Welt und kannte Planeten, von denen sie noch nie gehört hatte und auf denen man sich mit Sprachen verständigte, die sie nicht beherrschte. Er heilte Menschen. Er konnte sie sogar zum Lachen bringen. An diesem Nachmittag hatte er versucht, an einem Caraem-Spiel teilzunehmen. Er hatte sich dabei gehörig lächerlich gemacht. Die Kasiren hatten ihn so nervös gemacht, daß er sich ständig nach ihnen umgesehen hatte. Aber Ozchan besaß die Fähigkeit, über sich selbst lachen zu können, und das hatte den anderen gefallen. Und er war schnell. Er überschaute das Spielfeld mit einem einzigen Blick und war stets darüber im Bilde, wer sich wo befand. Wenn er lange genug hierblieb, würde er vielleicht in der nächsten Saison als vollwertiges Mannschaftsmitglied mitspielen können.
Sie hoffte, daß er lange genug blieb.
Die Zwillinge schliefen bereits. Quilla und Tabor hielten sich bei Freunden in Haven auf. Mim befand sich in ihrem Zimmer und las. Tev Drake war zum Raumhafen hinuntergegangen und führte endlose und teure Ferngespräche. Meya hatte sich vergewissert, daß er nicht da war, bevor sie allein auf der Veranda Platz genommen hatte. Hart flößte ihr auf eine unerklärliche Weise Furcht ein, aber Drake schien Vergnügen dabei zu empfinden, sie zu terrorisieren. An diesem Abend hatte er ihr vor dem Essen vor dem Waschraum aufgelauert, und sie hatte sich an ihm vorbeidrücken müssen, um ihm zu entkommen. Gestern hatte er ihr zwischen die Beine gegriffen. Als sie versucht hatte, ihn abzuwehren, hatte er gelacht und zugekniffen. In der vergangenen Nacht hatte sie sich zum erstenmal in ihrem Leben eingeschlossen. Drake hatte sich an ihrer Tür zu schaffen gemacht und auf sie eingeflüstert, bis sie dazu übergegangen war, ihm mit der Familie zu drohen. Als sie sicher gewesen war, daß er sich zurückgezogen hatte, war sie wieder zu den Zwillingen ins Bett gestiegen. Die beiden fingen schon an, sich zu fragen, wieso das in letzter Zeit häufiger vorkam, aber Meya wußte nicht, wie sie es ihnen erklären sollte. Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als daß Drake und Hart auf der Stelle abreisten. Es wäre ihr auch recht gewesen, wenn er stürzte und sich den Hals brach. Ihr war alles recht, was diesen Mann aus ihrem Leben entfernte.
„Verdammt!“
Meya zuckte zusammen und sprang zurück. Die Schatten der Veranda umfingen sie.
„Wer ist da?“
„Ich“, erwiderte sie. „Und wer bist du?“
„Hart.“ Ihr Bruder humpelte auf die Veranda und hielt sich am Geländer fest. „Ich bin mit dem Schienbein irgendwo gegengeknallt.“ Er setzte sich hin und fing an, einen Stiefel auszuziehen.
„Das kommt davon, wenn man in der Nacht draußen herumschleicht.“
„Ich bin nicht herumgeschlichen.“ Er zog den Stiefel aus und befingerte seinen Unterschenkel. „Scheiße.“
„Was ist denn?“
„Ich glaube, ich habe mir was aufgerissen. Ich kann nichts sehen!“
Meya langte durch die offene Tür in den Korridor hinein und förderte eine Laterne zu Tage, die sie neben Hart abstellte. Sie hielt einen gewissen Abstand zu ihm ein, als sie sich bückte, um die Verletzung zu begutachten.
„Gebrochen hast du dir nichts“, sagte sie. „Es ist nur eine Schramme, weiter nichts.“
„Na ja, jedenfalls habe ich sie mir zugezogen, und sie tut höllisch weh.“
„Spritz ein bißchen kaltes Wasser drauf.“
„Welch hinreißende Idee! Und wie, wenn ich fragen darf, komme ich an etwas kaltes Wasser?“
„Oh, warte nur einen Moment.“ Sie ging in die Küche, füllte eine Schale mit Wasser und brachte sie hinaus.
„Du hast kein Handtuch mitgebracht“, sagte er.
„Welch ein Pech aber auch. Nimm deine Socke.“
Hart machte zuerst ein finsteres Gesicht, dann streckte er ihr die Zunge heraus. Meya lachte kurz. Sie war überrascht.
„So geht das nicht“, sagte sie.
Sie umging die Lampe und kniete sich neben ihn. Seine Haut sah ein bißchen zerkrumpelt aus, aber
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