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Die Flüchtlinge

Die Flüchtlinge

Titel: Die Flüchtlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marta Randall
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in eurem Leben werdet ihr dahinterkommen, was ihr in Wahrheit angerichtet habt.“
    Hart beugte sich über Jasons Bett und sah Ozchan an.
    „Werfen Sie noch einmal einen Blick in Ihre Schulbücher, Doktor. Suchen Sie sich irgendeinen Text über Ontogenie. Wenn es ein guter ist, werden Sie darin die chemische Erklärung für Wachstum finden. Erwarten Sie aber nicht, daß es besonders ausführlich beschrieben wird: Immerhin ist es für Mediziner geschrieben worden. Nicht für Pillendreher. Aber das, was ich isoliert habe, ist die Schlüsselmixtur, der Kunstdünger des Wachstums. Und ich habe sie so hinbekommen, daß sie auch nach der Geburt wirkt.“
    Er wandte sich ab und sah seinen Vater an. „Es ist kein Vergnügen, Jason. Es wird zwar nicht schmerzen, aber du wirst auch sonst nichts spüren. Dein Fleisch und deine Knochen werden immer flexibler und weicher werden. Eine Maschine wird dich am Leben erhalten, aber damit hast du ja bereits Erfahrungen gemacht. Du wirst von Grund auf erneuert, wie ein Fötus. Die Gene wissen, nach welchem Muster sie vorgehen müssen, wo sie anzuhalten haben und wo ihre Grenzen sind. Nachdem du erst einmal wieder voll ausgewachsen bist, kann ich dein körperliches Alter anhalten, wo du willst. Würdest du gern wieder achtzehn sein, Jason? Zwanzig? Zweiundzwanzig? Ich kann es für dich machen, und wenn du dann wieder zu dir kommst, wirst du wieder ein volles Ganzes sein. Anfangs natürlich etwas schwach. Dann wirst du deine Muskulatur wieder abhärten und laufen lernen müssen. Es wird langsam gehen und eine Weile etwas schmerzhaft sein. Aber in einem Jahr bist du wieder beieinander – und stark. Ich brauche eine Woche für die Vorbereitungen und sechs für die Behandlung selbst. Der Rest besteht aus physischer Therapie. Das ist es, was ich dir anbiete. Es ist ganz einfach, Jason. Du hast die Wahl.“
    „Aber woher wissen wir, daß das auch wirklich funktioniert?“ fragte Quilla.
    „Es funktioniert“, sagte Hart. Er ging zu seinem Stuhl zurück und setzte sich. „Auf den Rückseiten der Papiere befindet sich eine Beschreibung meiner bisherigen Experimente. Auf den Bändern ist dasselbe. Es funktioniert.“
    Ozchan sah sich die Papiere noch einmal an. Dann wandte er sich Jason zu.
    „Ich kann Ihnen die Sache nicht empfehlen, Jason. Es ist neu und unbekannt. Diese Experimente müssen überhaupt nichts beweisen. Mir gefällt die ganze Idee nicht.“
    „Gehen Sie“, sagte Jason schwach. „Ihr redet hier über mich, als sei ich bereits tot – oder nahe daran. Geht raus, und zwar alle. Ich will darüber nachdenken.“
    „Vater …“ sagte Quilla.
    „Geht raus! Und bleiben Sie von den Monitoren weg, Ozchan. Ich kann sie selbst erreichen. Hinaus!“
    Quilla ging wütend hinaus. Ozchan folgte ihr. Hart blieb an der Tür stehen und wandte sich noch einmal um, aber Jasons ungehaltene Geste schickte ihn ebenfalls auf den Weg. Quilla und Ozchan hatten den Korridor bereits hinter sich gebracht. Hart hielt an, lehnte sich gegen die Wand und atmete tief ein. Ihm war gar nicht bewußt gewesen, wie angespannt die Lage gewesen war.
    Auf der Suche nach etwas Trinkbarem klopfte er an Drakes Tür.
    „Wer ist da?“ fragte Drake mißtrauisch.
    „Hart. Laß mich rein. Ich brauche etwas zu trinken.“
    Er hörte das Geräusch zurückgezogener Riegel und Ketten. Dann öffnete sich die Tür.
    „Wozu die Vorsichtsmaßnahmen, Drake? Du vergißt wohl, daß wir hier nicht auf Shipwright sind. Es gibt hier weder Diebe noch Vandalen. Hast du noch etwas Brandy übrig? Ich glaube, ich habe gerade einen großen Fortschritt erzielt. Wir werden möglicherweise nicht mehr lange warten müssen.“ Hart nahm die Karaffe vom Tisch und schenkte sich ein großes Glas voll. „Es geht voran“, sagte er und wandte sich um.
    Drake lehnte an der Wand und musterte ihn eingehend. Er hielt seine graue Robe dicht um sich geschlungen. Als Hart ihn ansah, öffnete er sie. Vom Hals bis zum Unterleib war seine Haut von einem häßlichen, scharlachroten Hautausschlag bedeckt.
    „Es geht los“, sagte Drake leise. „Zuerst kommt der Ausschlag, dann fällt mir die Haut vom Leib, und dann hören die Organe auf zu arbeiten. Die Drüsen, Hart. Ich falle auseinander.“
    Hart ging auf ihn zu, betastete den Ausschlag mit den Fingern und nippte an seinem Brandy.
    „Du hast mindestens noch einen Monat, Drake. Zeit genug.“
    „Zeit? Wofür?“ schrie Drake.
    Hart brachte ihn mit einer Geste zum Schweigen und lauschte angestrengt.

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