Die Flüchtlinge
Kohl los war. Aber der Gedanke, sich in Ölzeug zu kleiden und durch den Matsch zu laufen, gefiel ihr auch nicht.
Sie aß ihre Brötchen, spülte den Teller und die Tasse, stand an der Küchentür und musterte den glänzenden Boden.
Sie konnte hinaufgehen und Jason besuchen. Die Zwillinge gingen nie zu ihm; ihnen gefiel der Anblick nicht, den er bot. Es beunruhigte sie, ihren Großvater in einem durchsichtigen Behälter schwimmen zu sehen. Auch Quilla gab sich alle Mühe, den Raum nicht zu betreten. Wenn es sich nicht vermeiden ließ, warf sie dem Glasbehälter stets einen entsetzten Blick zu. Was Meya anging, so war dieser Anblick für sie nicht schlimmer als der, ihren ehemals energiegeladenen Vater zerbrochen in einem Bett liegen zu sehen oder ansehen zu müssen, wie er in einem idiotischen Rollstuhl um das Haus geschoben wurde. Zumindest im Moment umgab ihn eine rätselhafte Würde.
Sie würde das neueste Nachrichtenband mit hinaufnehmen und ihm etwas vorlesen. Schließlich ging auch Mim oft zu ihm und informierte ihn über den Klatsch des Tages.
Tabor verbrachte Stunden bei ihm und unterhielt ihn mit seinem Flötenspiel. Er behauptete, daß ungeborene Kinder in der Lage seien, Musik zu hören. Wieso sollte das bei Jason nicht auch der Fall sein? Hart widersprach diesem Gedanken mit Vehemenz, aber Meya wußte nicht, warum. Außerdem mußte Hart momentan am Landeplatz sein, um etwas abzuholen, was der morgendliche Zubringer ihm mitgebracht hatte. Es war nicht auszuschließen, daß er sie mit verbalem und stummem Sarkasmus überschüttete, wenn er sie dabei erwischte, wie sie ihrem ungeborenen Vater etwas vorlas.
Abgesehen von den summenden Maschinen war Jasons Zimmer still. Das einzige Licht kam von den Tastaturen und dem Leuchten seines Behälters. Meya schaltete die Lampe an und setzte sich neben den Bottich in den Schaukelstuhl.
„Hallo, Jason. Ich dachte, es ist dir vielleicht langweilig, deswegen habe ich dir was zu lesen mitgebracht. Es gehört Ozchan, er hat es mir geliehen. Ein Roman über Weltraumforscher, die das Ende des Universums gefunden haben. Ich bin schon beim vierten Kapitel. Bist du bereit?“
Es dauerte nicht lange, dann hatte sie der Klang ihrer eigenen Stimme in den Schlaf gelullt. Dann erwachte sie wieder und zuckte zusammen. Sie hatte ein Geräusch gehört. Meya warf rasch einen Blick in den Behälter, aber Jasons Lage hatte sich nicht verändert. Die Tastaturen der Maschinerie schienen korrekt zu stehen. Wieder hörte sie etwas. Es kam vom Korridor her.
„Ist da jemand?“ flüsterte eine Stimme.
Drake! In ihrem Magen breitete sich Kälte aus. Es war niemand im Haus. Meya hatte Harts Freund zwar seit einer Woche nicht mehr gesehen, aber sie erinnerte sich noch sehr gut an seine beharrliche Anzüglichkeit und Tätscheleien. Sie löschte die Lampe und begab sich so schnell und lautlos wie möglich zwischen die Maschinen. Sie verbarg sich in der Nähe der Wand.
„Ist da jemand drin?“
Die Tür ging auf. Vom Korridor her drang ein Lichtstrahl in den Raum hinein. Meya hörte das Geräusch schlurfender Schritte, dann ging die Lampe wieder an. Die Tür fiel zu und wurde abgeschlossen. Meya hielt den Atem an und suchte nach einem Gegenstand, den sie als Waffe verwenden konnte. Außer der Bandspule hatte sie nichts.
„Gut“, sagte Drake. „Wir sind ganz allein. Sehr gut. Du bestiehlst mich um mein Leben, weißt du das, alter Mann? Ja. Ich habe die gesamten Entwicklungskosten finanziert. Ich habe sämtliche Experimente bezahlt. Dieser Behälter gehört mir. Und jetzt sterbe ich, weil dein Sohn – dein verdammter, bösartiger Sohn – ihn mir nicht geben will. Er läßt mich warten, bis du wieder auf den Beinen bist. Warum sollte ich aber warten, alter Mann? Kannst du mir das sagen? Ich bin Tev Drake. Ich bin ein sehr reicher Mann. Was dich angeht: Du bist ein Hinterwäldler, ein Kolonist. Ich könnte dich ausradieren, und es würde niemandem auffallen. Warum sollte ich warten, bis du fertig bist? Du hättest warten sollen, denn mir geht es dreckiger. Du lagst nicht mal im Sterben. Dir ging es doch ganz gut. Das ist mein Behälter, und ich werde dafür sorgen, daß ich ihn auch bekomme. Ja, dafür sorge ich. Und zwar auf der Stelle.“
Meya lugte um die Ecke eines Monitors und sah, daß Drake vor dem Behälter stand. Seine Hände griffen nach den Kontrollen. Sie waren rot und schwarz, schienen in Fetzen herabzuhängen und irgendwie feucht zu sein. Einer seiner Fingernägel hing
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