Die Flußpiraten des Mississippi (German Edition)
verlassen. – Einer Rachegöttin nicht unähnlich – sofern man sich nämlich Rachegöttinnen in einem höchst altmodischen, verblichenen Seidenhut mit künstlichen Blumen, einem hochroten, großen Umschlagetuch, gelb und grünem Kattunkleid und ledernen Schuhen mit Kreuzbändern denken kann, fuhr sie da plötzlich auf die wirklich erschreckte Frau ein, faßte sie am linken Handgelenk und schüttete nun eine solche Flut von Schimpf- und Drohwörtern über sie aus, daß die unglückliche Frau nur noch bleicher wurde und sich zitternd dem Griffe der Wütenden zu entziehen suchte.
Diese aber wurde dadurch noch mehr erbost, hob drohend die geballte Rechte gegen sie empor und rief mit vor innerer Bosheit fast erstickter Stimme: »So? Fortlaufen will sie, diese Kreatur? Fortlaufen wie ein Dieb in der Nacht? Oh, wo seid Ihr denn die letzten zwei Tage überhaupt gewesen, Madame? Wo hat man sich denn, solange es hell war, heimlich aufgehalten, um nachts, in Dunkelheit und Nebel, fremder Leute Schlösser zu probieren und durch fremder Leute Schlüssellöcher zu gucken?«
»Um Gottes willen, – befreien Sie mich von der Rasenden!« rief Mrs. Everett und sah sich überall nach Schutz und Beistand um. Die Leute aber, die sie rings umstanden, konnten natürlich nicht anders glauben, als daß die junge schöne Frau auch wirklich ein ganz absonderliches Verbrechen verübt haben müsse, wenn sie solcher Art auf öffentlicher Straße angehalten wurde, und scheuten sich, da, wo allein das Gesetz entscheiden konnte, dazwischenzutreten.
»So?« rief aber hier wieder, jetzt auch zugleich an ihrer Ehre angegriffen, Mrs. Breidelford aus und rückte sich den ihr immer in das Gesicht rutschenden Blumenhut wohl zum zwanzigsten Mal nach hinten. »So? Eine Rasende bin ich, wohl weil ich auf meinem Recht bestehe und mein Haus nicht nachts von fremden Menschen visiert haben will? Ich bin auch eine einsame Witwe, ich stehe auch allein, mutterseelenallein in der Welt, aber ich betrage mich anständig und zurückhaltend und laufe nicht nachts allein und heimlicherweise in der Stadt herum und anderen Männern nach, daß ich um jeden Bootsmann trauern müßte, der im Mississippi ersäuft. Luise, sagte mein Seliger immer Luise, du –«
»Mr. Edgeworth«, bat die zur Verzweiflung getriebene Frau, »schützen Sie mich vor dieser Wahnsinnigen! Sie bringt mich um.«
»Zurück da, Master Eschhold, oder wie Sie sonst heißen mögen!« rief diesem aber die erzürnte Dame entgegen. »Laufe einmal einer von euch zum Richter! – Squire Dayton soll einmal herkommen, – gleich! – Der Konstabler soll her! – Da drüben stehen ihre Sachen; – Stück für Stück muß sie auspacken. Ich will doch sehen, was sie nachts an meinem Schlosse zu probieren hat; ich will doch sehen, ob ordentliche Bürgersfrauen turbiert und geängstigt werden sollen, daß sie abends nicht einmal bei Freunden eine Tasse Tee ruhig trinken können. Wo ist der Konstabler, sage ich!«
»Großer Gott, ist denn niemand hier, der sich eines armen Weibes annimmt?« rief die junge Frau.
Bill und Blackfoot hatten heimlich lachend die ganze Szene beobachtet. Der Aufenthalt kam ihnen überdies höchst gelegen, denn dadurch gewannen die anderen Boote einen Vorsprung, und nach allem, was sie sahen, glaubten auch sie natürlich, die gute Dame habe das junge Frauenzimmer auf irgendeiner bösen Tat ertappt und wolle sie nun dafür vor Gericht ziehen. Edgeworth aber, der Menschenkenntnis genug zu haben glaubte, in dem bleichen, edlen Antlitz der einen nichts Schlechtes und Unehrenhaftes, dagegen alles nur mögliche Widerliche in dem ihrer Anklägerin zu lesen, brach die Sache kurz ab, erfaßte Mrs. Breidelfords Arm und zwang sie, während er ihr das Handgelenk fest zusammenpreßte, Mrs. Everetts Arm loszulassen. Dabei schüttelte er jedoch der darüber empörten und laut aufschreienden Frau herzlich und nachdrücklich eben dieselbe Hand, erklärte ihr, daß jene Dame sein Passagier sei und die Fahrt nicht versäumen dürfe, reichte Mrs. Everett den eigenen Arm und führte diese nun, während seine Leute dicht hinter ihm der nachstürmenden Witwe Breidelford den Weg vertraten, rasch auf sein Boot, wonach die Planken schnell eingezogen und die Taue gelöst wurden. Die übrige Mannschaft sprang an Bord, und die ›Schildkröte‹ löste sich langsam von den übrigen Fahrzeugen ab.
Im Anfang trieb das breite, gewaltige Boot dicht an der Flatbootlandung nieder und drohte, auf einen unten
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