Die Flußpiraten des Mississippi (German Edition)
gesucht; denn die Burschen da wollten sich absolut erst den Richter holen, damit der Magistrat vor allen Dingen die Nase in die Geschichte stecke. Nun, mir kann's recht sein; Zeit wär's aber, daß auch in Helena ein bißchen nachgespürt würde.«
»Schändlich ist's«, rief ein anderer aus der Schar, »eine arme, alleinstehende Frau zu überfallen! Das Haus muß versiegelt werden, bis ihre Verwandten kommen. – So eine gute, brave Seele, wie sie war!«
»Nun, ihre Güte ließ sich allenfalls tragen«, murrte einer von der entgegengesetzten Seite; »sie hat in letzter Zeit besonders viel mit verdächtigem Gesindel verkehrt. Aber, Donnerwetter, wenn das hier dem einen mitten in der Stadt passieren kann, so ist auch der andere nicht besonders sicher, und da müssen wir doch sehen, ob wir den Mörder nicht herausbekommen können.«
»Heda, Richter!« schrie jetzt ein vierter aus der Menge. »Macht, daß Ihr herunterkommt! Die Zeit vergeht, und die Schufte gewinnen mit jeder Minute nur noch größeren Vorsprung.«
»Gentlemen«, sagte Squire Dayton, der neben dem Konstabler in der Tür erschien und die Versammelten aufmerksam und forschend zu prüfen schien, mit tiefer, fast tonloser Stimme, »es ist, wie ich eben höre, ein entsetzlicher Mord geschehen. Ohne Zögern sollen augenblicklich die nötigen Vorkehrungen –«
»Ist schon sämtlich in bester Ordnung besorgt«, fiel ihm hier der Virginier ohne große Umstände in die Rede; »der Konstabler hat gleich alles getan, was sich für den Augenblick nur tun ließ. Vor allen Dingen haben wir den Fluß besetzt, daß uns kein Kahn entrinnen kann. Es fehlt jetzt nur noch eine Untersuchung des Hauses selbst, ob wir dort vielleicht irgendeine Spur von den Mördern finden, und wir wollten Euch dazu abholen, Sir, damit die Sache doch auch ein bißchen gesetzlich aussähe und wir später keine weiteren Umstände haben.«
Der Richter schaute wie in tiefen Gedanken die Straße hinunter und hinauf. Sein Antlitz hatte eine unheimliche Blässe angenommen, und seine Augen blickten stier und glanzlos. Die Wege, die er übersehen konnte, waren menschenleer; alles schien sich dem Schauplatze des Mordes zugedrängt zu haben. Da tönte das Geräusch knarrender Ruder an sein Ohr. Sein Blick flog über den Strom hin und erkannte dort eines jener mächtigen Kielboote, die im Westen Amerikas gewöhnlich noch solche Flüsse befahren, auf denen Dampfer nicht gut angewandt werden konnten, wie sie auch manchmal auf dem Mississippi zu allerlei Zwecken benutzt und, mit Waren beladen, stromab geführt werden.
Es trieb augenscheinlich auf die Stadt zu, und vier Bootsleute arbeiteten langsam mit den schweren Finnen das breitbauchige Fahrzeug dem Lande entgegen. Daytons Lippen umzuckte aber ein triumphierendes Lächeln; denn auf der langen, knarrenden Steuerfinne der sogenannten Arche[eine häufige Benennung dieser Fahrzeuge] flatterte ein rot-grünes Fähnchen.
»Habt Ihr die Geschworenen schon zusammengerufen, Konstabler?« fragte er.
»Ja, Sir«, sagte der Mann; »sie werden wohl schon oben sein.«
»So kommt, Gentlemen!« entgegnete der Squire und schritt, von den wenigen gefolgt, die bis dahin noch zurückgeblieben waren, rasch dem Hause der Witwe zu.
Cook war schon ein kleines Stück vorausgelaufen, und der Virginier wollte ebenfalls gerade folgen, als er sich von der Hand eines jungen Burschen zurückgehalten fühlte, der ihn wie schüchtern mit einem kaum hörbaren »Sir« anredete.
Er ging in die gewöhnliche Tracht der Hinterwäldler gekleidet, aber alles, was er trug, schien nicht für ihn gemacht; es war viel zu weit und zu groß. Der blaue, grobe Rock hing ihm förmlich auf den Schultern, und die Ärmel bedeckten fast seine Hände. Besonders war ihm der alte, schwarze Filz bis tief in die Augen hereingerutscht. Der Virginier lachte, als er ihn sah.
»Sir«, sagte der Kleine und wandte sich, um den Davoneilenden nachzusehen, halb von dem Mann, mit dem er sprach, ab, »war der eine – ich meine den mit dem weißen Filzhut – wirklich der Richter hier aus Helena?«
»Jawohl, mein Bursche«, sagte der Lange, »weshalb?«
»Und er heißt – wie heißt er denn eigentlich?«
»Dayton, Squire Dayton nennen sie ihn gewöhnlich; – der andere, der mit ihm geht, ist der Konstabler.«
»Wohnt er hier in der Stadt?«
»Wer? – Der Konstabler?«
»Nein, der Richter.«
»Das versteht sich doch wohl von selber; wo denn sonst? Aber ich muß fort. – Nun, was gibt's jetzt
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