Die Formel der Macht
umgehend zeigen, weil ich glaube, dass wir hier eine Spur haben, mit der es uns gelingen könnte, diesen Fall zu lösen.”
Nach fünf Minuten war Gordon wieder zurück. “Ich habe den Direktor erreicht”, berichtete er. “Er hat schon geschlafen und war nicht allzu erfreut, gestört zu werden, aber ich habe ihn davon überzeugt, dass bei dieser Geschichte ein großer Durchbruch kurz bevorsteht und er so schnell wie möglich mit dir reden muss. Um es kurz zu machen, er war einverstanden, sich jetzt gleich mit dir in seinem Büro im FBI-Hauptquartier zu treffen. Ich habe vorgeschlagen, dass er hierherkommen soll, aber er fand es besser, wenn wir beide zu ihm kommen. Deshalb sollten wir, wenn du nicht allzu müde bist, so bald wie möglich fahren, meine Liebe. Den Ball ins Rollen bringen, wie man so schön sagt.”
Olivia hatte ein Schlafmittel genommen, und obwohl sie noch nicht eingeschlafen war, war sie – Gott sei Dank – so schläfrig, dass sie das entfernte Stimmengemurmel für leises Verkehrsrauschen gehalten hatte, das kaum bis in ihr Bewusstsein vorgedrungen war. Doch dann wurde ihr plötzlich klar, dass sich Gordon mit irgendjemandem unterhielt. Aber mit wem? Bette, die Haushälterin, war in Michigan, um sich um ihre kranke Mutter zu kümmern, und außer ihr war niemand im Haus.
Olivia warf einen Blick auf den beleuchteten Wecker. Halb zwölf. Als sie sich aufsetzte, um Morgenrock und Pantoffeln anzuziehen, fiel die Schläfrigkeit von ihr ab. Um nicht bemerkt zu werden, falls Gordon offiziellen Besuch hatte, schlich sie zum Absatz der Treppe. Aber es war kein offizieller Besuch – die Frau, die bei ihm war, war Summer. Olivia hätte Summers Stimme auf tausend Schritt Entfernung erkannt, obwohl sie das, was gesprochen wurde, nicht verstehen konnte.
Um besser hören zu können, schlich sie sich ein paar Stufen nach unten. In diesem Moment wurde ihr klar, dass Summer und Gordon sich anschickten, das Haus zu verlassen. Wohin um alles in der Welt wollten die beiden so spät nachts noch?
Olivia rang mit sich, ob sie nicht einfach wieder ins Bett gehen sollte. Im Lauf ihrer Ehe hatte sie ein Gespür dafür entwickelt, wann es besser war, keine Fragen zu stellen. Aber heute Nacht würde sie nicht schweigen können. Heute Nacht konnte sie sich nicht einfach wieder umdrehen und zurück ins Bett gehen.
Es kostete sie große Überwindung, die restlichen Stufen nach unten zu gehen. Fast wie in Trance setzte sie einen Fuß vor den anderen, wobei der Läufer das Geräusch ihrer Schritte verschluckte. Unten im Flur angelangt, wandte sie sich nach links und ging durch die große offene Doppeltür ins Wohnzimmer. Dort begrüßte sie Summer mit keinem Wort, sondern starrte nur Gordon an.
Mit trockenem Mund stellte sie die Frage, deren Antwort sie nicht hören wollte: “Wohin bringst du Summer?”
Gordon lächelte. “Olivia, meine Liebe, ich dachte, du schläfst.”
Seine Antwort machte ihr Angst, weil es keine Antwort war, und das war immer ein schlechtes Zeichen bei ihrem Mann. Sie schloss die Augen und wünschte sich, tausend Meilen – eine Million Meilen – weit weg zu sein.
“Olivia, ist alles okay mit dir?” Summers Stimme. So wohlklingend, so weich. So ärgerlich ansprechend.
Olivia öffnete die Augen. Sie schaute ihre Stieftochter immer noch nicht an. Warum sich die Mühe machen? Summer trug bestimmt wieder irgendein Ausverkaufsschnäppchen und sah wie immer toll darin aus. Sie wiederholte ihre Frage: “Wohin gehst du mit deiner Tochter, Gordon?”
“Zu Julian Stein. Er erwartet uns im FBI-Hauptquartier.” Sie sah die leise Verärgerung in seinem Lächeln mitschwingen. “Und nun erlaube mir, dass ich dich wieder nach oben begleite. Summer, ich bin in einer Minute zurück.”
Olivia zögerte. Sollte sie sich einfach umdrehen und mit ihm nach oben gehen? Es wäre leicht, so zu tun, als würde sie ihrem Mann glauben. Immerhin tat sie schon das ganze letzte Jahr so, als würde sie ihm glauben. Ihr Magen brannte, während sie sich eingestand, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen war, ein Machtwort zu sprechen.
“Julian Stein ist in Chicago”, erklärte sie unumwunden.
“Das muss ein Missverständnis sein”, protestierte Summer. “Dad hat vor ein paar Minuten mit ihm telefoniert und …”
“Zum letzten Mal, Gordon, was hast du mit deiner Tochter vor?”, schnitt Olivia ihr scharf das Wort ab.
Ihr Mann setzte sein besorgtes wohlmeinendes Lächeln auf. “Olivia, ich fürchte, du bist ein
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