Die Formel der Macht
derartigen Unsinn reagieren? Er wich aus, indem er zu seiner früheren Frage zurückkehrte. “Ich verstehe immer noch nicht, warum Sie ein persönliches Interesse an dem Fall haben, Sir. Ich weiß, dass Entführungsfälle dem FBI übertragen werden, aber dass sich der Direktor in die Niederungen der Ermittlungsarbeiten begibt, erscheint mir doch ziemlich ungewöhnlich.”
Zum ersten Mal zögerte Julian Stein sichtlich, bevor er etwas erwiderte. “Es handelt sich um einen ungewöhnlichen Fall”, sagte er. “Es gibt Gründe, die uns zwingen könnten, auf die Forderungen der Gerechtigkeitsliga einzugehen. Natürlich nur unter bestimmten, sorgfältig definierten Umständen.”
Joseph schwante sofort Böses. Je mehr er hörte, desto weniger verstand er, was hier vor sich ging, und desto weniger vertraute er irgendjemandem im Raum. Aber eins wusste er mit absoluter Sicherheit: Die brasilianische Gerechtigkeitsliga hatte niemanden entführt. Sie würden eher in einen Zoo einbrechen und alle Schlangen freilassen, als eine menschliche Geisel zu nehmen und sie mit dem Tod zu bedrohen.
Noch ehe er zu einem Schluss gekommen war, wie er reagieren sollte, ergriff Pedro Goulart wieder das Wort: “Die Regierung ist dringend auf Ihre Kooperation angewiesen, Joseph. Aus diesem Grund ist der Direktor hier. Ich habe Mr. Stein gegenüber darauf hingewiesen, dass die Anklage gegen Sie auf tönernen Füßen steht, und er stimmt mir zu, dass es nur ein Indizienbeweis ist, der vor Gericht möglicherweise nicht standhält. Wie Sie selbst schon gesagt haben, ist Ihr Gepäck während des Fluges an drei Flughäfen durch zahlreiche Hände gegangen, und es gibt absolut keinen Beweis dafür, dass Sie vom Vorhandensein irgendwelcher illegaler Substanzen in Ihrem Koffer wussten.”
Joseph konnte sich gerade noch davon abhalten, Goulart zu fragen, warum es ihn zehn Tage Arbeit gekostet hatte, herauszufinden, dass es die Staatsanwaltschaft hier mit einer unhaltbaren Anklage zu tun hatte. “Wenn mein Fall für eine Anklage nicht genug hergibt, bin ich frei”, sagte er. “Egal, womit die Gerechtigkeitsliga droht oder nicht.”
“Mr. Goulart hat ein bisschen übertrieben. Auf ganz so tönernen Füßen steht Ihr Fall nun auch wieder nicht”, bemerkte Julian Stein. “Doch wie auch immer, wir sind jedenfalls bereit, die Anklage gegen Sie unter bestimmten Umständen fallen zu lassen. Aber bevor die Regierung zustimmt, Sie aus dem Gefängnis zu entlassen, brauchen wir Ihre Mithilfe, um sicherzustellen, dass die Geisel der Gerechtigkeitsliga wohlbehalten zurückkehrt.”
Goulart klopfte Joseph kameradschaftlich auf die Schulter. “Ich bin mir sicher, dass Sie dem FBI helfen möchten”, sagte er. “Ganz abgesehen von der Tatsache, dass Sie ein gesetzestreuer Bürger sind, haben Sie ein massives Interesse daran, dass diese Geiselnahme friedlich ausgeht. Die Geisel, die die Gerechtigkeitsliga genommen hat, ist eine junge Frau, die Sie gut kennen.”
Wieder hatte Joseph die Vorahnung einer sich anbahnenden Katastrophe. Angst überschwemmte ihn. “Wer ist sie?”, fragte er. “Wen hat die Liga entführt?”
“Wenn Sie es nicht bereits wissen, es ist Summer Shepherd”, sagte Julian Stein.
Einen Moment lang konnte sich Joseph weder bewegen noch atmen. Dann wandte er den Kopf und zwang Goulart, seinem Blick zu begegnen. “Summer Shepherd wurde als Geisel genommen?”
“Ja”, sagte Goulart unumwunden.
“Wenn Sie bis jetzt nicht verstanden haben, warum ich mich in diese Angelegenheit einschalte, so bin ich mir sicher, dass Sie es jetzt wissen, Dr. Malone.” Julian Steins Stimme klang genauso grimmig, wie er dreinschaute. “Ich brauche Ihnen ja wohl kaum zu sagen, dass die Entführung der Tochter eines Ministers die nationalen Sicherheitsinteressen berührt.”
Sie hatten Summer gekidnappt. In Josephs Kopf breitete sich eine bleierne Schwere aus, und der einzige zusammenhängende Gedanke, den er fassen konnte, war der, dass Summers Leben auf dem Spiel stand. Sie war entführt worden, aber natürlich nicht von den harmlosen Gutmenschen der Gerechtigkeitsliga, sondern von denselben Dunkelmännern, die seine Festnahme inszeniert hatten.
“Joseph, ich bin mir sicher, dass diese Angelegenheit zur allseitigen Zufriedenheit geklärt werden kann”, schwadronierte Pedro Goulart salbungsvoll. “Ich gehe fest davon aus, dass die brasilianische Gerechtigkeitsliga kein Interesse daran hat, Miss Shepherd irgendetwas anzutun. Man ist nur an Ihrer
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