Die Formel der Macht
die Wahrheit klingt oft wie eine Lüge. Schauen Sie mich an, Herr Direktor. Halten Sie mich wirklich für so beschränkt, dass ich meinen Koffer mit Kokain vollstopfe, wo doch fast mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass es bei einer Gepäckdurchsuchung vom Zoll auf Anhieb entdeckt wird?”
“Selbstüberschätzung?”, vermutete der Direktor. “Viele Drogenkuriere bilden sich ein, gewiefter als alle anderen zu sein.”
“Ich habe das Kokain nie zuvor gesehen”, wiederholte Joseph.
“Dann erklären Sie mir, warum es in Ihrem Koffer war, wenn Sie es nicht hineingetan haben, Dr. Malone.”
“Zwischen Manaus, Recife und Miami ist mein Gepäck durch Dutzende von Händen gegangen. Offensichtlich hat mir jemand das Kokain in den Koffer geschmuggelt.”
“Warum?”, fragte der Direktor. “Warum ausgerechnet Ihnen?”
“Ich weiß es nicht.” Joseph zögerte, bevor er zumindest mit einen Teil der Wahrheit herausrückte. “Aber ich vermute, dass es der einfachste Weg war, mich hinter Gitter zu bringen, sobald ich amerikanischen Boden betreten hatte.”
Der Mann, der als der FBI-Chef von Miami vorgestellt worden war, schnaubte verächtlich. “Dann verlangen Sie also von uns nicht nur, dass wir Sie für unschuldig halten, sondern Sie wollen uns auch noch weismachen, dass eine Verschwörung gegen Sie im Gange ist. Was ist denn so wichtig an Ihnen, dass irgendwer sich die Mühe machen sollte, Sie einsperren zu lassen?”
“Ich weiß es nicht.” Es war nur eine halbe Lüge. Er wusste zwar genau, warum er für seine Feinde so gefährlich war, aber obwohl er sich nun schon seit zehn Tagen das Hirn zermarterte, konnte er sich immer noch keinen Reim darauf machen, warum man ihn ausgerechnet auf diese Art hereingelegt hatte. Die Gegenseite hatte offenbar gewusst, dass und wann er in die Vereinigten Staaten fliegen wollte. Wenn sie ihn also schon nicht hatten töten wollen, weil sie befürchteten, dann nicht an die gewünschte Information heranzukommen, warum hatten sie ihn dann nicht vom Flughafen in Recife entführt und irgendwohin verschleppt, wo sie ihn nach Lust und Laune foltern konnten? Warum wollten sie, dass er in dieses Gefängnis eingesperrt wurde?
Das Fatale an der Sache war, dass er, solange er nicht wusste, warum er hier eingesperrt war, auch nicht wusste, wem er vertrauen und was zu sagen er riskieren konnte.
“Selbst wenn wir Ihnen glauben, dass Sie Feinde haben, stellt sich doch die Frage, warum diese geheimnisvollen Leute Sie nicht einfach töten, wenn sie Sie aus dem Weg haben wollen, Dr. Malone”, ergriff jetzt der Gefängnisdirektor das Wort.
Es war eine Ironie des Schicksals, dass der Direktor genau dieselbe Frage laut formulierte, die sich Joseph eben selbst gestellt hatte. Einen Moment lang rang er mit sich, ob er erklären sollte, was er im Dickicht des Regenwaldes gefunden hatte und warum seine Feinde ihn lebend brauchten, dann kam er jedoch zu dem Schluss, dass es zu gefährlich war. Einer der Männer, die um den Tisch saßen, konnte gekauft sein. Goulart war es fast sicher. Joseph konnte sich ja nicht einmal ganz gewiss sein, ob der Mann, der ihn verhörte, auch wirklich der Direktor des FBI war. Er hatte Julian Stein nie kennengelernt, und dieser Bursche konnte genauso ein gekauftes Double sein. Joseph stöhnte in Gedanken laut auf. Würden seine Feinde nicht vor Freude im Dreieck springen, wenn er auf einen der ältesten Tricks der Welt hereinfiel?
Es stand so viel auf dem Spiel, dass er jede Möglichkeit in Betracht ziehen musste.
“Ich weiß nicht, warum sie mich hereingelegt haben”, sagte er schließlich. “Ich weiß nicht einmal, wer sie sind. Ich habe mir während der letzten Jahre eine Menge Feinde gemacht, angefangen von Leuten in der Industrie bis hin zu CIA-Agenten. Das Amazonasgebiet scheint eine dieser Regionen zu sein, die normalerweise intelligente Leute dazu bringt, sich aufzuführen wie Idioten. Ich habe die Angewohnheit, darauf hinzuweisen, und die Leute mögen es nicht, wenn ihre Dummheit öffentlich bekannt wird.”
Julian Stein schien plötzlich nachdenklich geworden zu sein. “Aber ich bin nicht hier, weil Sie sich eine Menge Feinde gemacht haben, sondern weil Sie auch ein paar sehr treue Freunde zu haben scheinen, Dr. Malone.”
Dann hatte sich Fernando also wirklich für ihn eingesetzt. Gott sei Dank.
“Soweit ich weiß, sind Sie der Vorsitzende einer Organisation, die sich brasilianische Gerechtigkeitsliga nennt, Dr.
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