Die Formel der Macht
Sachen nur höchst selten.”
Summer starrte Duncan sprachlos an. Warum hatte sie das nicht gewusst über den Mann, den sie als ihren besten Freund betrachtete? Immerhin kannte sie ihn nicht erst seit zwei Wochen. Ganz im Gegenteil. Sie hatte ihn als achtzehnjährige Studentin an der Stanford University kennengelernt, da war er fünfundzwanzig gewesen und hatte gerade seinen Doktor gemacht. Sie waren seit fast zwölf Jahren befreundet. Er hatte sie getröstet, als ihre Mutter gestorben war, mit ihr gefeiert, als sie ihren Doktortitel bekommen hatte, auf ihrer Couch im Wohnzimmer geschlafen, wann immer er in der Stadt gewesen war. Tatsächlich waren sie so lange die besten Freunde gewesen, dass sie sich eingeredet hatte, sich vielleicht in ihn verlieben zu können, wenn sie nur erst eine sexuelle Beziehung hätten. Woraus sich das Desaster in Brasilien im letzten Herbst entwickelt hatte.
Doch trotz ihrer langen Freundschaft hatte sie nichts von dem Treuhandfonds gewusst oder von der Tatsache, dass seine Mutter aus einer reichen Oberschichtfamilie stammte. Weil sie nichts über seinen familiären Hintergrund hatte wissen wollen, wie ihr jetzt klar wurde. Sie hatte gewollt, dass Joe einer ganz normalen Mittelschichtfamilie entstammte und Geld gegenüber genauso gleichgültig war wie sie, und deshalb hatte sie jeden Hinweis darauf übersehen, dass der wirkliche Joe Malone eine vielschichtigere Persönlichkeit sein könnte, als es das begrenzte Bild, das sie sich von ihm gemacht hatte, zuließ.
Es war beunruhigend, festzustellen, dass ihre bewusste Unkenntnis von Joes Hintergrund eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem Verhalten hatte, das sie Duncan gegenüber an den Tag gelegt hatte. Sie hatte sich von beiden Männern nur ein oberflächliches Bild gemacht, und daran hatte sie sich geklammert, bis sie gezwungen war, loszulassen. Sie fragte sich, was sie so zögern ließ, hinter die Masken zu schauen, die die Menschen der Welt präsentierten. Sie hatte den unangenehmen Verdacht, dass es etwas mit ihrem eigenen starken Bedürfnis zu tun hatte, ihre Verletzlichkeit nicht zu zeigen. Damit und mit einer fehlenden Bereitschaft, sich selbst möglichen Schmerzen auszusetzen, die dadurch entstanden, dass man die Menschen so akzeptierte, wie sie nun einmal waren.
“Es ist beschämend, zugeben zu müssen, dass ich von diesem Treuhandfonds nichts wusste”, sagte sie. “Aber das ändert immer noch nichts an meinem Urteil über ihn. Treuhandfonds hin oder her, Joe macht sich nicht viel aus Geld, da beißt die Maus keinen Faden ab. Und das ist der Grund dafür, warum er nicht reich ist, obwohl er das Patent an zwei erfolgreichen pharmazeutischen Produkten besitzt. Und was die Zusammenarbeit mit einer Terrororganisation angeht, ist es schlichtweg verrückt zu glauben, dass Joe zu so etwas fähig wäre. Er ist der sanfteste Mensch, dem ich je begegnet bin.”
“Auch sanfte Menschen können verbittert werden”, sagte Duncan.
“Das ist mir klar.” Sie schnipste sich ungeduldig eine Haarsträhne aus den Augen. “Aber ich habe im letzten Herbst mehr als zwei Wochen mit Joe verbracht, und da war er ganz bestimmt noch nicht verbittert. Er war genauso leidenschaftlich und optimistisch wie immer.”
“Leidenschaft ist manchmal nur einen Schritt entfernt von Fanatismus und Gewalt.”
“Nicht in Joes Fall.” Auch wenn sie Joes Persönlichkeit vielleicht nicht in all ihren schillernden Nuancen kannte, so hatte er doch bestimmte Grundeigenschaften, an denen sie nie und nimmer gezweifelt hätte. “Vertrau mir, Duncan. Ich kenne Joseph Malone, und er würde nie bei so etwas Verwerflichem wie einer Entführung mitmachen oder zu sonstigen gewalttätigen Mitteln greifen. Und genau darum habe ich jetzt diese schreckliche Angst, dass Joe ebenso ein Gefangener der Gerechtigkeitsliga ist wie ich gestern um diese Zeit noch.”
“Hast du das Julian Stein gesagt?”
Sie seufzte. “Ja, und Bram Cooper auch, wofür es auch immer gut gewesen sein mag. Sie haben nur darauf hingewiesen, dass es da draußen eine Menge Umweltfanatiker gibt, die keinen Baum fällen würden, aber keine Scheu davor haben, einen Bus mit Schulkindern in die Luft zu jagen, um auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen. Ich habe ihnen gesagt, dass Joe Lichtjahre davon entfernt ist, ein Umweltfanatiker zu sein und dass wir uns sogar oft über Umweltthemen in die Haare bekommen haben. Tatsächlich ist Joe viel mehr als ich geneigt zu akzeptieren, dass eine – wenn auch
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