Die Formel der Macht

wusste, konfrontieren sollte oder nicht. Dann fiel ihr noch etwas ein. Duncan hatte erzählt, dass Olivia am Telefon gewesen war, als er ihren Vater angerufen hatte, um ihm die Nachricht von ihrer Entführung zu überbringen. Und das bedeutete, dass ihre Stiefmutter am letzten Sonntag gegen Mittag schon wieder in Washington gewesen sein musste. Wie mochte sie ihrem Mann diese überstürzte Rückkehr wohl erklärt haben? Wäre sie nicht, wenn sie wirklich eine Affäre mit Fernando gehabt hätte, mindestens noch am Montag in New York geblieben, um dem vorgeschobenen Grund für ihre Reise Genüge zu tun und alles Mögliche einzukaufen?
    Summer schüttelte ungeduldig den Kopf und stopfte die Zeitung wieder in den Papierkorb. Jetzt reichte es aber. Auf ihrem Schreibtisch wartete ein Stapel Post auf sie, den sie besser durchsehen sollte, statt sich ergebnislos den Kopf darüber zu zerbrechen, was Olivia an dem Abend, an dem Fernando ermordet worden war, getan hatte oder nicht. Und da Fernando tot war, war die Affäre – falls Olivia überhaupt eine Affäre mit ihm gehabt hatte – beendet. Es war besser – viel besser –, nicht im Trüben zu fischen und womöglich noch einem Skandal Tür und Tor zu öffnen, der letztlich nur ihrem Vater schaden konnte. Summer verzog das Gesicht. Himmel, war es wirklich möglich, dass ausgerechnet sie ihre schützende Hand über ihre Stiefmutter hielt? Offenbar litt sie an einem plötzlichen Anfall von Reife.
    Genervt das Gesicht verziehend, ging Summer zu ihrem Schreibtisch hinüber und griff nach dem obersten Brief auf dem Poststapel. Natürlich eine Rechnung. Was hätte es auch schon anderes sein können? Sie schlitzte den Umschlag auf, aber weiter kam sie nicht, weil sie die Hand ausstreckte und sich ihr Telefonverzeichnis heranzog, um nach Rita Marcils Nummer zu suchen. Während sie wählte, nahm sie sich fest vor, dass sie, wenn sich der Anrufbeantworter meldete, auflegen würde, ohne Rita etwas aufs Band zu sprechen. Sie würde es als ein Zeichen nehmen, dass sie von nichts besessen war.
    Rita nahm nach dem ersten Klingeln ab. “Hallo.”
    So viel zu Zeichen
, dachte Summer. “Hallo, Rita, hier ist Summer. Passt es Ihnen gerade, oder störe ich?”
    “Oh, es könnte gar nicht besser passen. Ich habe letzte Woche mit Mark Scofield Schluss gemacht, und jetzt bin ich so angeödet vom Leben, dass ich mir eine Wiederholung von
I Love Lucy
reinziehe. Was gibt's? Haben Sie seit letzter Woche schon wieder neue Ozonlöcher entdeckt?”
    “Sie sollten eigentlich wissen, dass es keine Ozonlöcher gibt, sondern nur Stellen, an denen die Ozonschicht dünner …” Summer stutzte. “Hey, Moment mal! Sie haben sich von Mark Scofield getrennt? Von dem wunderbaren Mark mit dem atemberaubenden Brustkorb und den niedlichen Grübchen?”
    “Das ist der eine.”
    “Aber warum?”
    “Weil wir beide neurotische Idioten sind und beschlossen haben, dass unsere Neurosen nicht zusammenpassen. Ende der Durchsage.” Rita holte hörbar Atem. “Aber fangen wir jetzt bloß nicht mit dem Thema Männer an. Vor allem New Yorker Männer. Ich finde, Sie tun gut daran, weiterhin mit Kerlen auszugehen, die zu beschäftigt damit sind, unseren Planeten zu retten, um zu merken, dass Sie diejenige sind, die sagt, wo's langgeht.”
    Das mache ich doch gar nicht, protestierte Summer im Stillen. Oder? “Ich sage niemandem, wo's langgeht”, erwiderte sie. “Ich will nur nicht gleich am ersten Abend mit einem Typen ins Bett hüpfen. Ich will mit einem Mann gut befreundet sein, bevor ich Sex mit ihm habe.”
    “Hallo, Fräulein Sonnenschein! Haben Sie noch nicht gemerkt, dass man mit einem Kerl nur befreundet sein kann, wenn es null sexuelle Anziehungskraft gibt?”
    “Das ist doch von vorgestern”, gab Summer entrüstet zurück. “Natürlich können Männer und Frauen Freunde sein.”
    “Sicher können sie das. Aber erwarten Sie nicht, dass sich Ihre guten Freunde in atemberaubende Liebhaber verwandeln.”
    “So etwas kommt vor”, protestierte Summer. “Ich bin mir sicher, dass so etwas vorkommt.”
    “Haben Sie heimlich an dem Skript von Ally McBeal mitgebastelt?”
    “Wahre Liebe ist nicht nur eine Sitcom-Fantasie, wissen Sie. Es gibt selbst bei uns hier immer noch ein paar, die daran glauben, dass ein Mann und eine Frau bis an ihr Lebensende zusammen glücklich sein können.”
    “Tja, wahrscheinlich.” Rita seufzte. “Hören Sie mir gar nicht zu, okay? Ich schwanke zwischen Mordgelüsten und