Die Formel (Ein Fall für Die Nachtfalken - Band 1) (German Edition)
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29
Unruhig wanderte Sara in ihrem Zimmer auf und ab. Feiner Nieselregen tauchte die Häuserzeile gegenüber in einen trostlosen Schleier. Regentropfen liefen in langen Schlieren an der Fensterscheibe herunter.
Sara lehnte ihre Stirn an die kühle Scheibe. Was machte sie hier eigentlich. Sie sehnte sich nach der vertrauten Wärme ihrer Wohnung, nach ihrer kuschligen Couch mit der warmen Wolldecke. Ein Glas Wein, eine sinnfreie Sendung im Fernsehen. Oder ein Disco-Abend mit Simone . Abtanzen, flirten, feiern bis in die Puppen. Simone. Sie hatte sicher von ihrem vermeintlichen Tod erfahren. Wie ging es ihr damit, würde sie sie vermissen? Richtige Freundinnen waren sie nie gewesen, aber sie hatten oft etwas zusammen unternommen. Simone war die Einzige, mit der sie mal über ihre Probleme in der Arbeit oder mit den Kerlen reden konnte. Aber von der Leere in ihrem Inneren und dieser undefinierbaren, tiefsitzenden Angst hatte sie ihr nie erzählt.
Sara griff nach dem Karten-Handy, das sie von Rick bekommen hatte, und wollte Simone anrufen. Doch ihr fiel die Nummer nicht ein. Die war in ihrem alten Handy gespeichert. Fluch der Technik, dass man jede geistige Anstrengung abgenommen bekam. Sie rief die Auskunft an und fragte nach Simones Nummer.
„Darf ich Sie gleich verbinden?“, fragte die freundliche Callcenter-Mitarbeiterin. Sara stockte. Rick hatte ihr strengstens verboten, Kontakt mit irgendwem aufzunehmen.
„Ja, bitte“, hörte sie sich sagen.
Es tutete fünf Mal, dann hörte sie Simones muntere Stimme. „Ja?“
Sara schluckte den Kloß im Hals herunter. „Simone, ich bins, Sara.“
„Sara! Du lebst!“, schrie Simone ihr ins Ohr.
„Können wir uns sehen?“
„Mein Gott. Ich glaub‘s nicht. Bist du in Schwierigkeiten?“
„Nein, es ist alles in Ordnung. Hast du Zeit für mich?“
„Ja, natürlich. Ach du liebes Bisschen. Wo bist du?“
„In der Nähe der Leopoldstraße.“
„Treffen wir uns im Schelling-Salon . Ich bin in einer halben Stunde da.“
„Lieber Atzinger .“
„Auch gut. Bis gleich.“
Seit Sara das letzte Mal im Atzinger gewesen war, hatte sich die Studentenkneipe kaum verändert. Nur das Publikum kam ihr so jung vor, oder sie selbst wurde langsam alt. Sie schüttelte den Regen aus ihren Haaren und sah sich suchend um. In einem Nebenraum fand sie schließlich eine hektisch winkende Simone.
Als sie zu ihr hinüberging, sprang sie auf und umarmte sie. „Du bist es wirklich, ich kann es immer noch nicht glauben. Aber deine Haare, die sind ja ganz kurz und blond.“
Sara genoss die warmherzige Begrüßung und setzte sich mit Simone an den kleinen Ecktisch am Fenster.
Eine Bedienung kam an ihren Tisch. Sie bestellten beide Früchtetee.
„Was ist denn nur passiert? Ich habe in der Zeitung gelesen, du seist von einer S-Bahn überfahren worden.“ Simone musterte sie. „Aber du siehst eigentlich ganz gesund aus.“ Sie wies auf ihre Wange. „Außer der Schramme da.“
Sara lächelte und fuhr sich über die Wange.
Ihr Tee kam. Sara klammerte sich an die glühend heiße Tasse. „Du darfst niemandem erzählen, dass ich noch lebe, versprichst du mir das?“
„Natürlich!“ Sie hob zwei Finger zum Schwur. „Wie aufregend. Bist du undercover in geheimer Mission unterwegs?“
Sara lachte über Simones aufgeregte Neugierde. „Ja, so ähnlich. Ich kann dir keine Einzelheiten erzählen, aber ...“
„Ach menno. Ich will alle Einzelheiten hören“, drängte Simone.
Sara schüttelte den Kopf und bereute schon wieder, Kontakt mit ihr aufgenommen zu haben. „Das geht nicht.“ Sie wusste nicht mehr, was sie sagen sollte. Was hatte sie sich eigentlich von diesem Gespräch erhofft? Antworten? Hilfe? Ablenkung? Sie wusste es nicht. „Ich will weg. Als diese Frau in die S-Bahn gelaufen ist, war ich in der Nähe und habe meinen Personalausweis bei ihrer Leiche gelassen.“
„Wow. Aber warum gehst du nicht einfach so weg?“
Sara wand sich, das Lügen fiel ihr schwer. „Ich wollte alle Brücken hinter mir einreißen.“
„Aber wo willst du hin? Und warum bist du noch da?“
„Ich wollte mich von dir verabschieden. Morgen breche ich auf in die USA.“
„Ohne Personalausweis?“
„Ich habe ja noch meinen Reisepass.“
„Wahnsinn. Dass du ein bisschen verrückt bist, wusste ich, aber sowas.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich könnte so was nicht.“
Sara dachte an Simones heile Welt, die sie um sich herum aufgebaut hatte. Früher hatte ihr diese rosarote
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