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Die Fotografin

Die Fotografin

Titel: Die Fotografin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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als ob ihn die Trauer seiner Mutter nicht weiter berührte. »Ich mußte mich um alles kümmern, einkaufen, kochen, für sie sorgen. Mir hat das nichts ausgemacht.« Er hatte ihr den Rücken zugedreht und das Fleisch in die heiße Pfanne gelegt. »Es war meine Rettung.«
    Alexa holte tief Luft. Sie begann zu verstehen, was er gemeint haben könnte.
    Als sie am Kirchplatz vorbeikam, waren alle fort. Wahrscheinlich essen, dachte sie mit knurrendem Magen und ging vor an die Mauer. Sie konnte nicht erkennen, ob auch nur einer der beiden Brandherde kleiner geworden war. Wieder glaubte sie, Brandgeruch in der Nase zu haben, bis sie merkte, daß ein Schwall von Zigarettenrauch zu ihr hinüberwehte. Alle waren nicht gegangen. Philipp Persson stand in der Ecke und sah ins Tal, in der Hand die glimmende Zigarette. Sie hätte den Platz gemieden, wenn sie von seiner Anwesenheit gewußt hätte. »Beängstigend, oder?« sagte sie, um höflich zu sein. War nicht wenigstens der Brandherd am Horizont kleiner geworden?
    Er sagte nichts. Sie glaubte zu sehen, daß er mit den Schultern zuckte.
    »Vor allem, wenn man bedenkt, daß es Brandstiftung sein kann«, sagte sie tapfer.
    Nach einer Weile antwortete er. Fast hätte sie ihn nicht verstanden, so leise war seine Stimme geworden.
    »Ja«, sagte er. »Vor allem dann.« Sie hörte, wie er die Zigarette austrat. Dann drehte er sich um. Kaum war er aus dem Lichtkegel der Straßenlaterne herausgetreten, verschluckte ihn die Dunkelheit.
    Als sie zu Hause ankam und das Tor aufschloß, grollte es von Ferne. In der Nacht gewitterte es, und in den Morgenstunden stürzten Wassermassen vom Himmel. Kurz wurde sie wach, räkelte sich wohlig und schlief mit dem Gedanken ein, daß das wohl ausreichen würde, um sämtliche Brände zu löschen.

2
    Frankfurt
    H eute morgen war der zweite Brief gekommen – per Eilpost. Gottlos früh. Dorothea hatte das Gefühl gehabt, gerade erst schlafen gegangen zu sein, als sie aus dem Bett sprang, sich den Morgenmantel überwarf und den Zusteller ins Haus ließ. Dann erkannte sie die Handschrift auf dem dicken Kuvert. Am liebsten hätte sie den jungen Mann von der Post zurückgerufen.
    Nehmen Sie das wieder mit. Schicken Sie’s zurück. Annahme verweigert.
    Den ersten Espresso trank sie in der Küche im Stehen, den zweiten im Arbeitszimmer. Das Kuvert in der Tasche des Morgenmantels rieb sich durch den dünnen Stoff hindurch an ihrem Oberschenkel. Sie schaltete das Radio ein. Beruhigend, dachte sie, daß nur ein Brief von ihm gekommen war. Er hätte ja auch gleich selbst vor der Tür stehen können, mit Koffer und gewinnendem Lächeln: Ich bin’s nur. Ich dacht’, ich bleib’ für ein Weilchen.
    Sie stöhnte auf und nahm den Brief aus der Tasche. Die Briefmarken waren über die ganze Länge des Briefs geklebt, das Kuvert mit Tesafilm verschlossen. Mindestens acht Blatt, dachte sie. Wie rücksichtsvoll von ihm, mir das Nachporto zu ersparen. Dann schlitzte sie das Kuvert mit dem Fingernagel auf.
    Im Radio meldeten sie anhaltenden Regen. Wegen der Messe gab es Staus rund um Frankfurt. Dorothea begann, die dichtbeschriebenen Seiten zu überfliegen.
    Er hatte Heimweh. Es sei nun genug gebüßt. Er wolle sich »ehrlich machen«. Dorothea lachte auf. Er brauchte Geld. Er wollte einen Anwalt. Er sehnte sich nach Frankfurt.
    Dorothea schüttelte den Kopf.
    Er wollte sie als Fürsprecherin. Er rühmte ihre guten Beziehungen. Er schickte subtile Drohungen.
    Sie warf den Brief auf den Boden und stand auf.
    Er war verrückt.
    Er ist verzweifelt, sagte die andere Stimme. Er ist einsam. Er hat sein Leben vertan. Er braucht… Ach was. Er hat sich frei entschieden. Und dann kann man nicht einfach ankommen und jammern, wenn’s schiefgegangen ist. Wie ein Echo hörte sie ihren Vater reden. Sie stellte das Radio lauter.
    Im ersten Programm brachten sie eine Collage über all die Politiker, die in den letzten Jahren zurücktreten mußten. Bei über der Hälfte von ihnen hatte man einen dunklen Fleck in der Vergangenheit entdeckt.
    Konnte man Martin einen dunklen Fleck nennen?
    Fast hätte sie gelacht. Fleck ginge ja noch.
    Man muß sich abschotten gegen Menschen und Gefühle, dachte sie, während sie im Bad mit dem Korrekturstift die Schatten unter den Augen abdeckte. Das macht unverletzlich. Man darf keine Kritik und keinen Vorwurf auch nur die Oberfläche ritzen lassen. Man darf nicht den kleinsten Selbstzweifel zulassen. Die Männer und Frauen, von denen im Radio die Rede

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