Die Fotografin
gewesen war, sind nicht an ihrer Vergangenheit gescheitert, sondern an ihren schlechten Nerven.
Sie musterte ihr Gesicht, als sie fertig war. Sie sah jemanden, der keinen Zweifel hatte. Der auch im größten Sturm noch weitersegelte, als ob die See ruhig und die Winde günstig wären. Sie nickte sich zu. Sie würde auch Martin überstehen.
3
Beaulieu
A ls Alexa aufwachte, war der Himmel bedeckt und es war spürbar kühler geworden. Sie sprang aus dem Bett, fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und rannte noch vor dem Zähneputzen hinüber zum Bäcker. Bei Ronsard stand man Schlange. Adèle redete ohne Punkt und Komma, während sie die flûtes und baguettes aus dem Regal holte. Als Alexa sich dazustellte, war der Verkaufsraum voll.
»Schrecklich. Einfach schrecklich«, sagte Sylvie, schüttelte den Kopf und kramte in ihrem Portemonnaie nach Geld.
Adèle holte eine flûte für Monsieur Durand aus dem Regal, ohne ihren Redefluß zu unterbrechen. »Brandstiftung, das hat mir Axel heute morgen zugerufen, und der ist mit der Tochter von Boisset verlobt, Boisset von der Gendarmerie in St. Julien, du weißt schon…«
»Also wenn es nicht geregnet hätte…«, murmelte der alte Rogier.
Adèle machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wenn man bei jedem Brand auf Regen angewiesen wäre, gäb’s Beaulieu nicht mehr.«
Die Umstehenden nickten. Sylvie schien ihr Baguette fester zu packen. »Brandstiftung… Glaubst du wirklich?« fragte sie.
»Die Verbrecher und Verrückten sterben nicht aus«, sagte Adèle und blickte auffordernd in die Runde. Alle murmelten zustimmend.
»Aber wer…«
»Ja, das möchte die Polizei auch wissen.« Adèle bückte sich und wollte unter die Theke greifen. Man hörte einen wütenden Aufschrei, ein Klatschen und dann ein heiseres Jaulen. Das mußte Victor sein, der seine Nase wie üblich nicht aus den Backwaren halten konnte. Der räudige Köter gehörte zur festen Besetzung des Bäckerladens – ebenso wie die Dose Paral, mit der Madame im Sommer die Fliegen auf den Süßwaren vernichtete. Bloß nicht dran denken, dachte Alexa.
Schnaufend kam Adèle mit fünf bereits in Papier gewickelten Baguettes wieder hoch. »Bitte schön, Monsieur«, sagte sie zu dem hochaufgeschossenen Jungen mit der Baseballmütze, der verlegen grinste, als er den Packen entgegennahm.
»Man sollte mal die Feuerwehr fragen«, sagte der Mann rechts vorne, nach Kleidung und Klangfärbung ein Pariser zu Besuch. »Da gibt es immer mal welche, die vom Löschen nicht genug kriegen können.«
» Unsere Männer?« Adèles Augen blitzten und die beiden Frauen neben Alexa stimmten ein Protestgemurmel an. »Also Monsieur!«
Der Pariser hatte den Anstand, verlegen zu gucken. »Ein Scherz, Mesdames, Messieurs, ein Scherz!«
Adèle drohte ihm kokett mit dem Zeigefinger und packte dem Lehrling von »Elle et Lui« vier Eclairs ein.
»Jedenfalls wird der Brandherd im Bois de Peyrebelle heute gründlich untersucht. Dann wissen wir mehr.«
Alexa versuchte, sich den idealtypischen Brandstifter vorzustellen: War es der unscheinbare Typ, der sich ständig übergangen fühlte, und deshalb ein weithin sichtbares Fanal setzen will? Größenwahn, Machtphantasien, Gewaltrausch? Oder war es der diabolische, dem es Spaß machte zuzusehen, wie die ersten Flämmchen durchs Unterholz züngelten, um dann mit einem mächtigen Rauschen die ausgetrockneten Bäume hochzurasen?
»Madame?« Fast wäre ihr entgangen, daß sie dran war. Sie nahm ein Baguette und, nach kurzer Bedenkzeit, ein Eclair und ein Brombeertörtchen. Ausnahmsweise war ihr heute nicht schon beim bloßen Gedanken an Frühstück schlecht, im Gegenteil: sie fühlte sich mit einem Mal schwach vor Hunger.
Auf dem kurzen Weg nach Hause hatte sie das knusprige Ende vom Baguette abgebrochen und verschlungen. Sie öffnete das Tor und rannte im Laufschritt die Treppe hoch. Dann stapelte sie auf dem Terrassentisch, was der Kühlschrank hergab. Felis sah milde interessiert zu, wie sie das Brot gleich mit zwei Scheiben Schinken belegte, ein gekochtes Ei und einen Joghurt in sich hineinschaufelte und schließlich Eclair und Brombeertörtchen folgen ließ. Der Anfall von Heißhunger mußte daran liegen, daß sie gestern abend nichts zu essen bekommen und nach dem ersten Glas Wein keine Lust mehr verspürt hatte, sich selbst etwas zu kochen.
Erst danach machte sie der geduldigen Katze eine Dose auf, wusch ab, füllte Apfelsaft und Mineralwasser in eine Thermosflasche, packte den
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