Die Fotografin
buntes provençalisches Geschirr auslag. Schließlich landete sie in einem Café an der Hauptstraße, trank, umgeben von Auspuffgasen, flirtenden Jugendlichen, röhrenden Motorrädern und sonnenverbrannten Touristen, einen großen Milchkaffee und versuchte, sich auf die Zeitung zu konzentrieren. Zu Hause stritt man wieder einmal über die deutsche Vergangenheit. Die Nachrichten aus aller Welt meldeten das Gerücht, daß Prince Charles endlich seine Camilla heiratete. Und die Wettervorhersage für Deutschland: regnerisch und für die Jahreszeit zu kühl.
Alexa streckte sich in der Wärme des französischen Sommerabends. Es schien ihr mit einem Mal nicht mehr völlig aussichtslos, dem Leben etwas abzugewinnen.
Haben Kameras eine Seele? Alexa legte die Hand auf das Kamerafutteral mit den Initialen »A. S.«. Die eine Frage war so gut wie die anderen: Gibt es Gespenster? Führen Häuser ein Eigenleben? Er hätte zu allen drei Fragen nein gesagt. Hirngespinste. Folklore.
Alexa winkte nach dem Kellner.
Sie war sich da nicht so sicher.
Auf der Rückfahrt nach Beaulieu kam ihr ein Pulk schwitzender Radfahrer entgegen. Der Mann, der das Schlußlicht bildete, drehte sich nach ihr um. Sie verfolgte ihn im Rückspiegel. Sein Gesicht… Sie trat so heftig auf die Bremse, daß der Renault ins Schleudern geriet. Fast wäre sie von der Straße abgekommen und im Graben gelandet.
Dann hatte sie den Wagen abgewürgt. Die Radfahrer waren hinter einer Kurve verschwunden. Sie holte tief Atem, startete wieder und fuhr langsam weiter. Du bist wirklich nicht mehr ganz dicht, dachte sie. Die Augen des Mannes waren hinter der Sonnenbrille gar nicht zu erkennen gewesen – und wer hatte nicht alles ein Grübchen im Kinn! Er war es nicht. Er konnte es gar nicht sein.
Vergiß ihn endlich.
Felis legte ihr eine Maus zu Füßen, als sie zu Hause ankam. Diesmal war der Fang tot. Sie lobte die Katze überschwenglich, lenkte sie mit Dosenfutter ab und beförderte das arme Mäuschen in den Müll. Hoffentlich war es schnell gegangen. Als sie sich auf die Terrasse setzte und die Beine streckte, spürte sie, wie ihre Muskeln schmerzten von der langen Wanderung. Nach zwei belegten Broten und einer halben Flasche Wein ging sie mit dem Glücksgefühl tiefer Erschöpfung ins Bett.
4
Frankfurt
A ls sie merkte, daß sie den Bericht über einen Kunstraub mit anschließender Erpressung bereits zum zweiten Mal las und der Kaffee lauwarm war, faltete Karen die Zeitung zusammen und schob die Tasse von sich. Durchs Küchenfenster blickte sie in einen grauverhangenen Himmel. Ihr war kalt. Normalerweise war Frankfurt um diese Jahreszeit zum Ersticken heiß. In den Sommermonaten schätzte sie sogar die Klimaanlage im Büro, die sie an Tagen mit klarem Verstand ebenso innig zu verfluchen pflegte. Aus diesem Sommer aber schien nichts werden zu wollen.
Dann stand sie auf. Es half alles nichts: Sie war für das süße Leben nicht geschaffen. Sie ging auf nackten Füßen hinüber ins Arbeitszimmer und nahm die Fotokopien aus der Klarsichthülle, die auf dem Schreibtisch lag. Das wenigstens hatte sie sich nicht nehmen lassen, bevor sie die Akte an die Kämpfer weiterreichte: Sie hatte sich aus der Mappe Eva Rauch den Bericht über die Tatwaffe und das ballistische Gutachten kopiert. Ein zweifellos nicht ganz korrekter Akt, dachte sie und grinste in sich hinein. Aber seit Kollegin Kämpfer die Untersuchung eingestellt hatte, billigte sich auch Karen in Sachen Recht und Ordnung einen größeren Ermessensspielraum zu.
Ungewöhnlich war nicht nur, daß Eva Rauch sich erschossen hatte (»vermutlich«, korrigierte Karen sich im stillen). Seltsam war auch die Geschichte der Tatwaffe – eine ungarische Pistole von Fegyver, eine FEK Kaliber 7,65. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs wurden Waffen in den Westen gespült, die man hier lange nicht gesehen hatte; funktionsfähige Museumsstücke oft, die jeder, der ein bißchen Bescheid wußte, im Frankfurter Bahnhofsviertel erwerben konnte. Das allein war noch nichts Besonderes, obwohl – wie kam eine ältliche Buchhändlerin an einen Waffenhändler im Bahnhofsviertel? Auffallend aber war, daß das bei der Toten gefundene Exemplar zu den acht Waffen und Gewehren gehört hatte, die 1978 einem Schweizer Waffensammler gestohlen worden waren. Von den anderen fehlte bislang jede Spur. Und noch auffallender fand Karen, daß man beim BKA so verdammt lange gebraucht hatte, bis man mit dieser Information rausgerückt war.
Woher hatte
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