Die Fotografin
aber er hat mir nicht zugehört, hat gesagt, dass er dich liebt. Dieses junge Bürschchen liebt eine ältere Frau, das ist doch lächerlich. Genauso habe ich es ihm auch gesagt. Aber er hat nur gelächelt und geantwortet: ‚Fragen wir Adriana doch selbst, sie liegt ja in meinem Bett!‘ Da habe ich einfach das Messer aus dem Messerblock gezogen und auf ihn eingestochen, immer wieder zugestochen, solange bis er tot war.
Doch dann bist plötzlich du aus dem Schlafzimmer gewankt, nackt und vollkommen weggetreten. Das war ein erniedrigender Anblick für mich, meine Frau nackt in der Wohnung eines anderen zu sehen. Ich habe mich versteckt und eine Gelegenheit abgewartet, um dich unschädlich zu machen. Ich kannte ja deine psychischen Probleme. Es war also ganz leicht, dich immer weiter in den Irrsinn zu treiben, damit du glaubst, alles wäre nur in deinem Kopf entstanden.“
Ich höre das alles nur undeutlich, denn meine Gedanken schweifen ab in eine Welt voller Liebe. Gregors Stimme wird von dem Lärm der Tuk-Tuks überlagert, die auf der Mole von Marina Beach entlangfahren und Fahrgäste nach Chennai bringen. Ich liege mit Talvin auf der Ladefläche eines Tuk-Tuk und wir sehen in den Nachthimmel, der sich wie ein schützendes Zelt über den Golf von Bengalen spannt. Talvin erzählt von seinem Großvater, dem Bibliothekar, der die Familie immer an Feiertagen mit Anekdoten über die Theosophische Gesellschaft von Madras unterhalten hat. Doch Talvin ist tot und mein Mann ist sein Mörder.
„Ich will, dass du gehst!“, sage ich leise und starre auf die verdörrte Yuccapalme, weil ich Gregors Anblick nicht mehr aushalte. Aber Gregor ist noch lange nicht fertig mit seinem Sermon.
„Alles lief zunächst reibungslos ab, denn das Haus wurde gerade saniert und deshalb gab es auch noch keine Mieter. Ich konnte also ungehindert mit dem toten Inder durch das Treppenhaus nach unten zu meinem Wagen gelangen. Auch dich hinunterzutragen war zunächst kein Problem, wäre da nicht dein Freund Raul plötzlich aus der Bar unten an der Straßenecke gekommen. Natürlich hat er mich erkannt und gesehen, dass du leblos in meinen Armen hingst. ‚Adriana hat zu viel getrunken!‘, damit wollte ich ihn abwimmeln und es gelang mir zunächst auch. Doch einige Tage später kam sein Anruf. Du hättest ihm von deinem verschwundenen Liebhaber erzählt und dass dessen Adresse nicht mehr existiert. Da hat er natürlich eins und eins zusammengezählt, seine Chance gewittert und versucht, mich zu erpressen. Aber das kennt man ja: Einmal erpresst, immer erpresst! Deshalb war es nur eine logische Konsequenz, ihn bei der nächstbesten Gelegenheit zu töten. Ich habe ihn in seiner Wohnung überrascht und vom Balkon gestoßen. Von seinem lächerlichen Geständnis, das er für dich geschrieben hat, habe ich dann den letzten Satz ‚Warum nur Adriana? Warum nur?‘ abgerissen und ihm in die Hand gedrückt. Das war ein wirklich genialer Schachzug von mir.“ Gregor kichert leise vor sich hin. „Den Brief habe ich natürlich als Erinnerung in meinem Geheimfach aufbewahrt. Jedes Mal, wenn ich ihn jetzt wieder lese, muss ich mich dazu beglückwünschen.“
Eine der Wärterinnen klopft gegen die Scheibe und tippt auf ihre Uhr. Gregors Besuchszeit ist gleich vorbei. Langsam lehnt er sich zurück und leckt sich über die Lippen. Erst jetzt drehe ich mich zu ihm und sehe seine schwarzen Augen böse glitzern.
Gregors Stimme ist nur noch ein hasserfülltes Flüstern, nur noch das Hauchen seines Geständnisses. Früher hätte ich geglaubt, wieder unter einer Wahnvorstellung zu leiden, aber diesmal nicht. Die Worte fräsen sich in mein Gedächtnis und ich werde sie bis zu meinem Tod nicht vergessen.
„Besonderes Vergnügen hat es mir gemacht, deiner besten Freundin Marion den Schädel einzuschlagen! Denn sie hat mich nicht ernst genommen, als ich ihr erzählte, dass ich unsere Familie nur schützen wollte. Sie hat damals mein Parteifeuerzeug mit meinen Initialen in der Wohnung von diesem Inder gefunden und wollte mich am Parkplatz vor deiner Klinik zur Rede stellen. Damals konnte ich sie noch mit dem Hinweis auf deine Krankheit ruhigstellen. Aber dann wollte sie immer mit dir darüber reden und das musste ich verhindern. Wie eine Furie ist sie auf mich losgegangen, als sie kapiert hatte, dass ich in der Wohnung dieses Inders gewesen war. Marion hielt sich für unverwundbar und hat bis zuletzt nicht geglaubt, dass ich sie töten werde. Aber ich habe ihr bewiesen,
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