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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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eigene Stille zurückzuziehen, aber er spürt den ihn umgebenden Lärm auf der ganzen Haut. Da weiß er, wo er ist und kann es nicht vergessen: in einer Klasse von jungen Bengeln, die jede Tätigkeit mit kindlichen Geräuschen begleiten, und diese Geräusche erzeugen ein Echo, und dieser Lärm haftet an ihnen wie Schweiß. Victorien Salagnon hasst Schweiß, denn er ist der Schlamm, den ein ängstlicher, zu warm gekleideter Mensch hervorbringt, wenn er sich viel bewegt. Ein Mensch, dessen Bewegungen ungehemmt sind, läuft ohne zu schwitzen. Er läuft nackt, sein Schweiß verdunstet sofort, nichts bleibt davon zurück; er schwimmt nicht im eigenen Saft, sein Körper bleibt trocken. Der Sklave beugt sich zu Boden und schwitzt im Stollen des Bergwerks. Das Kind schwitzt bis kurz vorm Ertrinken in den dicken Wollschichten, mit denen die Mutter es eingehüllt hat. Salagnon verabscheute Schweiß; er träumte von einem nicht nässenden steinernen Körper.
    Pater Fobourdon erwartete sie vor der Tafel. Sie verstummten und blieben vor ihrem Platz stehen, bis es ganz still wurde. Solange noch irgendwo Stoff raschelte oder Holz knarrte, mussten sie stehen bleiben. Sie warten darauf, dass völlige Stille eintrat. Schließlich forderte Fobourdon sie auf, sich zu setzen, und nach kurzem Scharren der Stühle wurde es erneut still. Dann wandte er sich zur Tafel um und schrieb in schöner, regelmäßiger Schrift: »Commentarii de Bello Gallico: Übersetzung aus dem Lateinischen.« Sie begannen. Das war Pater Fobourdons Methode: kein überflüssiges Wort, keine langen Reden, um die schriftliche Arbeit zu begleiten. Nur Gesten. Er lehrte zum Beispiel innere Disziplin, eine rein praktische Kunst, die sich nur im Handeln ausdrückte. Er sah sich selbst als Römer, aus massivem Stein gehauen und anschließend beschriftet. Er gab manchmal kurze Kommentare von sich, in denen er eine moralische Lektion aus den immer gleichen Zwischenfällen zog, die den Schulalltag begleiten. Er verachtete den Schulalltag, hatte aber eine hohe Meinung von seinem Lehramt. Er schätzte seinen Platz hinter dem Pult höher ein als jenen auf der Kanzel, denn von der Kanzel benutzt man das Wort um zu geißeln, während man vor einer Schulklasse den Weg weist, Anweisungen gibt und handelt; und dann offenbart sich der einzige Aspekt des Lebens, der einen Wert hat und nicht den Stumpfsinn der Sichtbarkeit besitzt: der moralische Aspekt. Und daraus, dass sie diese Kernwahrheit an den Tag gebracht hat, leitet die Sprache ihre Würde ab.
    Sie mussten den Bericht über eine Schlacht übersetzen, in der der Feind umzingelt und schließlich vernichtend geschlagen wird. Die Sprache ermöglicht schöne Stileffekte, dachte Salagnon, erheiternde Spielereien, die man so dahinsagt oder zu Papier bringt, ohne dass es irgendwelche Konsequenzen nach sich zieht, wie feine, die Wirkung einer Erzählung verstärkende Aquarellzeichnungen. Aber in den gallischen Kriegen wurde auf äußerst schmutzige Weise Krieg geführt, ohne dass man schöne Worte benutzt, geschweige denn an Metaphern gedacht hatte. Mithilfe von scharfen Schwertern wurden vom Körper des Feindes blutige Stücke abgeschlagen, die zu Boden fielen, dann kämpfte man weiter, um ein weiteres Glied abzutrennen, bis der Feind erledigt war oder man selbst tot umfiel.
    Cäsar, der Abenteurer, marschierte in Gallien ein und richtete Blutbäder an. Cäsar wollte seinen Willen durchsetzen, und seine Macht war stark. Er wollte die Völker unterwerfen, ein Reich gründen und herrschen; er wollte existieren, sich die bekannte Welt untertan machen, seinen Willen durchsetzen. Er suchte Größe, und das möglichst schnell.
    Er fasste einen lebhaften Bericht über seine Eroberungen, seine Massenmorde ab, den er nach Rom sandte, um den Senat für sich zu gewinnen. Er beschrieb die Schlachten wie Bettszenen, in denen die römische Tugend vir den Sieg davontrug und das eiserne Schwert wie ein siegreicher Phallus gehandhabt wurde. Durch diese geschickte Berichterstattung vermittelte er den Daheimgebliebenen einen hautnahen Eindruck vom Krieg. Er belohnte ihr Vertrauen, gab ihnen etwas für ihr Geld, entlohnte sie mit einem Bericht. Und so bewilligten ihm die Senatoren Truppen, finanzielle Unterstützung und ermutigten ihn. Dafür sollten sie mit Gold beladene Fuhrwerke und unvergessliche Anekdoten erhalten, wie jene von den abgehackten, turmhoch aufgehäuften Händen der Feinde.
    Cäsar schuf durch das Wort eine Fiktion Galliens, das er mit

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