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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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Laut in die Höhe und fiel in die Schüssel zurück, aber auch auf die Tischdecke, auf einen Teller, und zwei Tropfen in ein Glas, in dem sie gleich mit dem Wein verschmolzen, und ein winziger Tropfen auf Océanes Kleid, unter der Rundung ihrer linken Brust. Sie brach zusammen, als habe sie ein dünnes Stilett ins Herz getroffen. Die anderen erhoben sich stumm, nahmen sich die Zeit, ihre Servietten zu falten, und gingen auf den Kleiderständer zu. Sie zogen ihre Mäntel an, halfen einander wortlos, warfen sich nur höfliche Blicke des Einverständnisses zu. Océane, die fast locker auf dem Rücken lag, atmete ruhig. Der Tisch wurde weiterhin nur von Kerzen erhellt. Die flackernden kleinen Flammen warfen unruhige Schatten auf ihr Kleid, das ihren prächtigen Körper umhüllte wie ein Hauch; es glitzerte wie eine von leichter Brandung, von der Abendbrise, vom Zephir der untergehenden Sonne bewegte Wasserfläche, die ganze Oberfläche ihres Körpers rührte sich, und der einzige feste Punkt war der schwarze Blutfleck unter der Rundung ihrer Brust, knapp über ihrem Herzen.
    Sie verabschiedeten sich mit einem Kopfnicken und ließen uns endlich allein. Ich hob Océane auf und legte sie auf unser Bett. Sie öffnete sogleich die Augen und begann zu weinen; sie gab gurgelnde Geräusche von sich, schöpfte tief Atem, schrie, schluchzte, erstickte halb an Schleim und Tränen, unfähig, ein Wort zu sagen. Die Tränen, die ihr über die Wangen rannen, waren schwarz und befleckten ihr Kleid. Sie weinte, ohne aufzuhören, drehte sich von einer Seite auf die andere, erstickte ihre Tränen im Kopfkissen. Der große weiße Bezug besudelte sich, je länger sie weinte, wurde mit roten, braunen, schwarzen Flecken und salzigen, grau verwässerten Paillettenresten übersät, das Stoffquadrat glich bald einem Gemälde. Ich blieb mit einem, wie ich glaube, idiotischen Lächeln neben ihr sitzen. Ich versuchte nicht, sie zu trösten, und nicht einmal, mit ihr zu reden. Ich fühlte mich ihr endlich nah, näher als ich ihr je gewesen war. Ich träumte, das könne andauern, dabei wusste ich, dass all das verschwinden würde, sobald ihre Tränen versiegten.
    Als sie schließlich verstummte und sich die Augen abwischte, wusste ich, dass zwischen uns alles zu Ende war. Alles, was vorher stattgefunden hatte und alles was hinterher hätte stattfinden können. Wir schliefen nebeneinander ein, ohne uns zu berühren, sie gewaschen und frisiert unter der Bettdecke, ich angezogen auf der Decke.
    Am Sonntagmorgen weinte sie noch einmal beim Aufwachen und verhärtete sich dann wie abbindender Beton. Am Sonntagnachmittag verließ ich sie.
    Von Montagmorgen an lebte ich ein anderes Leben.
    Ich sah sie nie wieder und auch keinen unserer gemeinsamen Freunde. Ich verschwand eine Weile am anderen Ende des Landes, am viel ärmlicheren nördlichen Rand, wo ich eine bescheidene Stelle bekam, viel bescheidener, als die, die ich aufgab, als ich meine Frau verließ.
    Ich löschte, wie man Software löscht, nacheinander alle Gedanken aus meinem Hirn, die es bisher erfüllt hatten, und bemühte mich, nicht mehr zu handeln, um nicht mehr manipuliert werden zu können. Ich hoffte, dass meine letzte Handlung jene sein würde, die dem Tod vorausgeht: warten.
    Victorien Salagnon war derjenige, auf den ich, ohne ihn zu kennen, gewartet hatte.

ROMAN II
    Der Maquis im April
    W as für ein Vergnügen, im April in den Maquis zu steigen! Wenn der Krieg noch nicht vor der Tür wütet, wenn der Feind anderswo beschäftigt ist, man noch nicht von dessen Hunden verfolgt wird und die Waffen noch nicht benutzt hat, ist es wie ein Traum, in den Maquis zu steigen.
    Der April wächst, der April öffnet sich, der April nimmt seinen Anlauf; der April strebt dem Licht entgegen, und die Blätter drängen sich dem Himmel entgegen. Was für ein Vergnügen, im April in den Maquis zu steigen! Man sagt immer »steigen«, denn um ins Maquis zu gelangen, steigt man hinauf. Der verborgene Wald, in dem man sich versteckt, befindet sich auf den Berghängen; der Maquis ist die andere Hälfte des Landes, oberhalb der Wolken.
    Die Kolonne der Jungen marschierte durch das dicht mit Sträuchern bewachsene Unterholz. Die Blätter zitterten vom aufsteigenden Saft, und die kleinen Pfropfen, die ihn im Winter blockiert hatten, öffneten sich im Inneren des Holzes. Mit etwas gutem Willen hätte man den Saft hören und wenn man die Hand auf die Stämme gelegt hätte, sein Beben spüren können.
    Die Kolonne der

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