Die Frau am Tor (German Edition)
rasch wieder verworfen. Sie machte sich ohnehin nicht viel aus „Grünzeug“, wie sie es nannte. Vor allem aber hätte das für sein Empfinden zu sehr danach ausgesehen, als habe er irgendetwas wiedergutzumachen, als plage ihn ein schlechtes Gewissen. Dass genau dies mit im Spiel war – neben seinem dringenden Bedürfnis, sich dem Bannkreis der anderen Frau zu entziehen -, ließ sich allerdings nicht leugnen. Und das Bewusstsein darum verursachte ihm ein ungutes Gefühl. Er kam sich ein bisschen schäbig vor.
“ Mir war einfach danach”, erklärte er ihr und mied dabei ihren Blick. “Weißt du, manchmal geht mir Berlin ziemlich auf die Nerven.”
“ Meinst du wirklich Berlin oder meinst du nicht in Wahrheit etwas anderes?”, fragte sie skeptisch. “Hin und wieder habe ich das Gefühl, dass du nicht richtig zufrieden bist mit deinem Leben.”
Er widersprach ihr, fühlte sich irgendwie ertappt, und unangenehmerweise kam sie später, nachdem sie zur ihr gefahren waren, sie in ihrem gelben Mini-Cooper voraus, noch einmal auf das Thema zurück.
Ihre Wohnung war kaum halb so groß wie seine und befand sich ebenfalls in einem alten großen Haus, aber sie bezahlte genau so viel Miete wie er, da es sich um eine der besonders aufwändig restaurierten und luxuriös ausgestatteten Villen aus den Zwanzigerjahren handelte, von denen es in Potsdam etliche gab. Eva holte sich ein Glas Weißwein, er nahm ein Wasser – er hatte sich geschworen, fortan wieder wirklich dabei zu bleiben und sich keinerlei Ausrutscher mehr zu gestatten – und sie beschlossen, später noch irgendwo einen Bissen essen zu gehen. Sie setzten sich in ihre beiden nicht allzu bequemen De-Sede-Sessel, wobei er unwillentlich an die ähnlich schicken und gleichfalls wenig einladenden Möbel in dem einen Wohnzimmer der Gerlachs denken musste, und sie schaute ihn etwas ratlos an.
“ Robert, ehrlich, wir sprachen ja bereits gestern beim Essen kurz darüber, ich mache mir wirklich in letzter Zeit so meine Gedanken“, lautete ihre Eröffnung. „Irgendetwas ist mir dir, das sehe ich dir doch an. Willst du es mir nicht sagen? Du kannst es mir ruhig sagen. Wirklich. Vielleicht würde es dir ja helfen, einfach darüber zu reden. Du weißt, ich habe für alles Verständnis. Stört dich etwas an mir? An unserer Beziehung? Hättest du es gern anders? Dann sag mir bitte, was dich stört. Und denk bitte nicht, ich würde versuchen, dich von diesem Buch abzuhalten, das liegt mir völlig fern, mich da einzumischen oder dich gar von etwas abhalten zu wollen, das dir wichtig ist.”
“ Bitte, Eva, mach es nicht komplizierter als nötig”, sagte er und rang sich ein gewisses schiefes Lächeln ab, jenes, von dem er wusste, dass sie es besonders mochte, weil es ihm ihren Worten zufolge etwas Jungenhaftes verlieh. “Ich glaube, du siehst Probleme, wo gar keine sind.”
Auf der Fahrt nach Potsdam hatte er zum ersten Mal ernsthaft erwogen, Eva ins Vertrauen zu ziehen und ihr alles zu erzählen. Er hatte sich vorgestellt, wie sie wohl reagieren würde, wenn sie erführe, dass der Mann, mit dem sie liiert war, einer anderen Frau dabei geholfen hatten, die Leiche eines Mannes zu beseitigen, den sie zuvor erstochen hatte, dass diese Frau, vorsichtig gesagt, hoch problematisch strukturiert war, ihn beinahe wie eine Stalkerin belästigte und er obendrein mit ihr ins Bett gegangen war.
Er hatte versucht, es sich vorzustellen, und war zunächst dem Schluss gekommen, dass das ausgesprochen schwierig war - um sodann gegenüber sich selbst zuzugeben, dass er es sich lieber gar nicht vorstellen wollte. Die Realität war, aufs Ganze betrachtet, eine weit weniger eindeutige Kategorie, als sie es oftmals zu sein schien. Beispielsweise war die Realität, mit der er sich sein Berufsleben lang als Reporter beschäftigt hatte, eine gänzlich andere als jene inszenierte, fingierte, voyeurismusträchtige, um die es bei Evas Filmprojekten unter dem irreführenden Stichwort “Reality” ging.
Aber diese Geschichte mit Julia passte weder in die eine noch in die andere Kategorie. Sie war, gemessen an ihrer beider Lebenshorizonten, schlichtweg fern jeder vertrauten Wirklichkeit, was immer man darunter verstehen mochte. Und jetzt, in diesem Moment in Evas Wohnung, mutete sie ihn besonders unwirklich an, eher wie ein lästiger Albtraum, dessen Nachklänge einen mit böser Hartnäckigkeit über mehrere Tage hinweg verfolgen.
“ Nein, wirklich, es ist nichts, gar nichts, glaub mir”,
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