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Die Frau am Tor (German Edition)

Die Frau am Tor (German Edition)

Titel: Die Frau am Tor (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Worthmann
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zogen. Um sein Verhältnis zu Eva brauchte er sich anbetrachts der jüngsten Entwicklung einstweilen ohnehin nicht allzu viele Gedanken zu machen, sie würde ganz gut eine Weile ohne ihn auskommen.
    Also Schluss mit all dem, zumindest vorübergehend. Jetzt reichte es. Er wollte einfach nicht mehr.
    Er zog das ominöse Schreiben des angeblich anonymen Erpressers aus der Tasche und zerriss es über dem Papierkorb ebenso in winzige Stücke, wie er es unlängst mit Julias Zettel getan hatte, den sie ihm in den Briefkasten geworfen hatte. Dann trug er den Papierkorb hinunter und entleerte ihn in die Mülltonne. Anschließend begann er, ein paar Sachen zusammenzupacken und in seiner Reisetasche zu verstauen. Viel würde er nicht brauchen, da nach wie vor überall Sommerwetter herrschte.
    Er duschte, rasierte sich, zog sich etwas Frisches an, überprüfte den Inhalt seiner Brieftasche, vergewisserte sich, dass er die Schlüssel dabei hatte und verließ seine Wohnung. Er überlegte, ob er sein Handy mitnehmen sollte – für alle Fälle, welche auch immer -, tat es aber dann nicht, sondern schaltete es ab, setzte auch die Mailbox außer Betrieb und legte es in seinen Schreibtisch. Auch den Anrufbeantworter des Festnetzapparats stellte er ab. Bevor er die Haustür hinter sich zuzog, dachte er noch kurz daran, ob er Bergheim bitten sollte, während seiner Abwesenheit nach der Post und den Zeitungen zu sehen, ließ aber auch das. Es würde für die wenigen Tage kaum lohnen, und die Vorstellung, ausgerechnet Bergheim damit zu betrauen, behagte ihm ganz und gar nicht.
    Noch während er den Alfa voll tankte und Öl-, Kühlwasserstand sowie den Reifendruck kontrollierte, war er sich nicht klar darüber, wohin er fahren wollte. Letzten Endes war es gleichgültig. Erst auf dem Weg zur Stadtautobahn, ein Stück hinter dem früheren Grenzübergang Dreilinden, kam er zu dem Schluss, dass er eigentlich bei der südwestlichen Richtung bleiben könne. Vielleicht würde er bis München fahren, vielleicht noch weiter. Allein schon die unbehelligte Fortbewegung in dieser Hülle aus Blech, Leder und Technik verschaffte ihm ein Gefühl von Befreiung und Erleichterung.
    Er war kaum eine gute Stunde unterwegs und näherte sich Dessau, als der Motor bei Tempo 170 plötzlich zu stottern begann, der Wagen merklich langsamer wurde, verschiedene Lämpchen am Armaturenbrett aufleuchteten, die er noch nie hatte aufleuchten sehen und sich ein penetranter Geruch im Fahrzeuginneren ausbreitete. Er schaffte es gerade noch, einigermaßen gefahrlos in eine Lücke auf der rechten Spur zu wechseln und dann sofort den Randstreifen anzusteuern, um den Motor abzustellen und unverzüglich auszusteigen. Unter der Kühlerhaube krochen Schwaden dunkelgrauen Rauchs hervor. Er sah diesem hässlichen Schauspiel zu, während er auf der Leitplanke saß - unfähig, etwas anderes zu tun, als sich der Aufwallung von Wut, Verzweiflung und auch Selbstmitleid zu überlassen, die ihn durchlief.
    Er hätte losgehen müssen zur nächsten Notrufsäule. Aber er blieb einfach sitzen. Irgendwann hielt ein Polizeistreife. Er zeigte den Beamten seine Papiere und den Mitgliedsausweis des Automobilclubs, und irgendwann kam ein Abschleppwagen. Er sah zu, wie der Alfa aufgeladen wurde, hörte, wie dabei die Bemerkung fiel, was für ein wirklich schöner Wagen das sei, aber leider halte eben auch solch ein Schätzchen nicht ewig, und er kletterte in das Fahrerhaus des Abschleppers, als man ihm anbot, ihn mit zurück nach Berlin zu nehmen, zu seiner Stammwerkstatt, deren Adresse er erst auf zweimaliges Nachfragen nannte. Das gehörte zum Service, wie man ihm mitteilte. Na wunderbar, dachte er voller Hohn, das ist ja nun immerhin etwas.
    Etwas später merkte er, wie ihm allmählich die Energie zum Ärgern abhanden kam und jenem an Apathie grenzenden Fatalismus Platz machte, den er aus alten Zeiten von sich kannte und mit dem er sich mehr als einmal erfolgreich gewappnet hatte, um unvorhergesehene Komplikationen durchzustehen. Es hatte etwas Tröstliches, dass er dazu immer noch fähig war: Unabänderliches zu ertragen, ohne gleich vollends in die Knie zu gehen.
    Er nahm es hin, wie der Mechaniker in der Werkstatt ihm mit sorgenvoller Miene erklärte, der Motor sei wohl nicht zu retten. Endgültiges lasse sich zwar noch nicht sagen, aber er solle sich schon einmal darauf einstellen, dass es einiges kosten werde, vorausgesetzt, er wolle den Wagen tatsächlich behalten und sei auch bereit, einen

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