Die Frau am Tor (German Edition)
neuen Motor einbauen zu lassen.
“ Wir werden sehen. Rufen Sie mich irgendwann in den nächsten Tagen an, wenn Sie mir Genaueres sagen können”, sagte er mit einem Gleichmut, der ihm selbst nicht ganz geheuer war. “Aber bitte nicht morgen oder übermorgen, da bin ich nicht da.”
Dann bat er, man möge ihm ein Taxi bestellen, nahm seine Reisetasche über die Schulter und wartete, bis er nach Hause gebracht wurde. Dort schloss er die Wohnungstür hinter sich ab, ohne den Schlüssel abzuziehen. Das Handy ließ er abgeschaltet in seinem Schreibtisch liegen. Der Stecker des Festnetzapparats befand sich hinter der Kommode, und er musste sie erst ein Stück abrücken, um ihn aus der Dose zu ziehen. Dann ging er durch alle Räume und ließ sämtliche Jalousien bis auf einen Spaltbreit herunter, sodass ihm eben noch genügend Licht blieb, um sich zu orientieren. Zum Schluss warf er noch einen Blick in den Kühlschrank und in die kleine Vorratskammer; fürs erste würde er seine Wohnung auch nicht zum Einkaufen verlassen müssen.
In der Kammer verwahrte er neben Haferflocken, einigen Konserven und Knäckebrot auch stets einen kleinen Bestand an Spirituosen auf, um gelegentlichen Gästen etwas anbieten zu können. Aktuell handelte es sich dabei um eine angebrochene Flasche Gin und eine noch ungeöffnete Flasche französischen Cognacs. Seit er nicht mehr trank, stellte ihr Vorhandensein für ihn keinerlei Versuchung dar, genau so wenig wie der Weißwein, von dem er immer eine oder zwei Flaschen für Eva im Kühlschrank liegen hatte. Irgendwann hatte er die beruhigende Feststellung gemacht, dass es ihm nicht die geringsten Schwierigkeiten bereitete, einfach gar nicht daran zu denken, dass es Alkohol gab, sei es in Ladenregalen, an denen er sich jederzeit hätte bedienen können, sei es sogar in seiner eigenen Wohnung. Und wie sicher er sich in dieser Hinsicht sein konnte, hatte er schließlich eben erst erfahren und sich selbst bewiesen, als er bei Julia Gerlach etwas Wein getrunken hatte, ohne dass es deswegen zu einem Rückfall gekommen war.
Normalerweise beachtete er die Vorratsflaschen nicht weiter und dachte nicht einmal daran, dass es sie gab, solange nicht jemand einen Whisky wünschte oder einen Gin oder was er sonst gerade da hatte, doch jetzt blieb sein Blick an ihnen hängen.
Sein damaliger Entschluss, fortan die Finger von jeglichem Alkohol zu lassen, war ihm leichter gefallen, als er es sich in all den Jahren zuvor jemals hätte vorstellen können. Sowohl sein Arzt als auch der Therapeut hatten ihm dringend dazu geraten, als er in jenen Tagen vor rund dreieinhalb Jahren plötzlich hatte erleben müssen, dass er nicht mehr schreiben konnte und auch nicht mehr schlafen, ja, dass er, genau genommen, überhaupt nichts mehr konnte. Die Abstinenz war nicht der einzige notwendige Schritt gewesen, um sich vor dem drohenden Absturz in einen Abgrund zu retten, dessen Tiefe weder er selbst noch seine medizinischen Ratgeber kannten, aber sie war der erste und vermutlich wichtigste. Und allein schon das Bewusstsein, diesen Schritt geschafft zu haben, hatte ihm zeitweilig als Reservoir für neue Kraft gedient, die er anfangs allerdings auch brauchte, nur um irgendwie durch den Tag zu kommen.
Er hatte es zu schätzen gelernt, morgens mit klarem Kopf aufzuwachen, sich frisch und immer ein bisschen neugierig darauf zu fühlen, was der Tag bringen würde. Und er hatte sogar gelernt, den paradoxen Umstand zu akzeptieren, dass diese morgendliche nüchterne Neugier mehr oder minder ungenutzt ins Leere ging, seit er sein “aufregendes Reporterleben”, wie er es oft selbstironisch nannte, gegen ein Dasein hatte eintauschen müssen, das, zumindest formal gesehen, nichts anderes als ein mehr oder minder konventionelles Frührentnerleben war. Hin und wieder erstaunte ihn selbst, wie gut es ihm gelungen war, sich darin einzurichten, auch wenn Eva das eine oder andere daran auszusetzen hatte und immer mal wieder meinte, er könne mehr oder anderes daraus machen, und sei es nur im Hinblick auf eine angemessene, altersgemäße Freizeitgestaltung.
So war es gewesen – bis zu jener Nacht vor knapp zwei Wochen, in der ihn eine nahezu unbekleidete junge Frau darum gebeten hatte, ihr bei der Beseitigung eines Mannes behilflich zu sein, den sie mittels eines Küchenmessers umgebracht hatte. Seither war in seinem Leben so gut wie nichts mehr angemessen.
Robert Kessler, du hast es wahrhaftig weit gebracht, dachte er, und meinte dabei die
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