Die Frau am Tor (German Edition)
vergessen hatte.”
Während er noch überlegte, ob er es dabei bewenden lassen oder weitere Erläuterungen abgeben sollte, langte Bergheim in die Tasche seines Morgenmantels und zog ein gefaltetes Stück Papier hervor.
“ Hier, das ist Ihnen vorhin, als Sie nach Ihren Schlüsseln suchten, wohl aus der Hosentasche gefallen. Es lag bei der Haustür, ich habe es aufgehoben, als Sie kurz oben waren. Ich denke, es ist besser, Sie nehmen es wieder an sich, als wenn es sonst jemand findet.”
“ Ach, das...danke..nicht so wichtig...aber gut”, stammelte er, merkte, wie er vor Verlegenheit rot wurde, griff nach dem Zettel und schob ihn schnell in die Tasche. “Es hat...weiter keine große Bedeutung....es hat...mit meiner Arbeit zu tun. So eine Art Notiz, verstehen Sie?”
“ Was, Sie schreiben wieder? Das ist ja eine Überraschung”, meinte Bergheim mit einem leicht übertrieben wirkenden Erstaunen.
Sie hatten damals, nach seinem Einzug, über ihre Arbeit gesprochen. Der Name Robert Kessler war Bergheim aufgrund seiner Tätigkeit beim Bundespresseamt – aber nicht allein dadurch – ein Begriff gewesen und er hatte sein Bedauern geäußert, als er erfahren hatte, dass der Reporter seinen Beruf nicht mehr ausübte.
“ Ich versuche es vorerst nur. Das sind bisher nur erste Vorarbeiten, Materialsammlung, Skizzen sozusagen. Ob wirklich etwas daraus wird, kann ich jetzt noch nicht absehen.”
“ Es freut mich jedenfalls, das zu hören”, meinte Bergheim bedeutungsvoll und fügte dann, nach einer kleinen Pause und indem er ihm fest in die Augen sah, hinzu:
“ Sie müssen wissen, dass ich Ihnen gern behilflich bin, falls es auf Ihrer Seite irgendetwas geben sollte, bei dem ich Ihnen helfen könnte. Und Sie können außerdem sicher sein, dass ich immer noch sehr wohl zu unterscheiden weiß zwischen Angelegenheiten, die von...nun ja...allgemeinem Interesse sind und solchen, die nicht an die große Glocke gehören und besser vertraulich, also off the records, zu behandeln sind. Wenn Sie verstehen, was ich meine.”
17.
Es ging schon auf halb elf zu, als er endlich wieder allein in seiner Wohnung war und die Tür hinter sich schließen konnte. Erschöpft lehnte er sich dagegen. Was für ein unerquicklicher, nervenzermürbender Tagesbeginn.
Erst dieser neuerliche, wirklich schwer erträgliche Auftritt Julias, auf den er sich immer noch keinen rechten Reim machen konnte, dann das Missgeschick mit dem Schlüssel und in dessen Folge auch noch die Begegnung mit Bergheim, bei der ihm zu allem Überfluss der obskure Drohbrief aus der Tasche und seinem neugierigen Mitbewohner in die Hände gefallen war. Die fadenscheinige Erklärung, es handele sich um Schreibnotizen, war ihm im Nachhinein selbst peinlich, und auch wenn Bergheim nicht weiter nachgehakt hatte, schien doch klar zu sein, dass er sie ihm nicht abnahm.
Ihr Gespräch hatte sich anschließend um andere Fragen gedreht, alles mehr oder minder Verlegenheitsthemen, und es hatte vor allem die bedenkliche Eigenschaft gehabt, sich mehr und mehr in die Länge zu ziehen, denn der Mann vom Schlüsseldienst hatte sich Zeit gelassen, viel mehr Zeit, als versprochen. Und nachdem er dann aufgetaucht war, hatte sich herausgestellt, dass die Angelegenheit um einiges komplizierter und aufwendiger war als erwartet – und teurer obendrein, aber das war, gemessen an allem anderen, nun wirklich noch das Geringste. Zum Schluss hatte der Mann ihm empfohlen, sich doch auch solch ein langes, buntes Schlüsselband zu besorgen, das man sich um den Hals hängen konnte und das einen guten Schutz gegen diese spezielle Vergesslichkeit darstelle. In Kesslers Augen zählten diese Bänder allerdings eher zu einer bestimmten Art von zweifelhaften Modeerscheinungen, ähnlich wie die Skistöcke, die immer mehr Menschen neuerdings zum Spazierengehen benutzten. Vor allem stand ihm aktuell überhaupt nicht der Sinn danach, sich mit derartigen Lappalien zu beschäftigen.
Ja, er würde wegfahren und sich irgendwo für eine Woche ein Hotel suchen, so wie er es sich vorgenommen hatte. Mochte doch währenddessen hier in Berlin geschehen, was da wollte. Mochte die Polizei im Fall Oliver Rensing ruhig weiter im Nebel stochern, mochte Julia Gerlach sehen, wo sie mit ihren realen und womöglich auch fiktiven Problemen blieb – er wusste mittlerweile einfach nicht mehr, was er ihr noch glauben konnte -, und mochte Bergheim im Hause irgendwelche Andeutungen machen, die irgendwelches Gemunkel nach sich
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