Die Frau am Tor (German Edition)
Montagmorgen zur Arbeit aufbrach, erinnerte er sie daran, wegen ihres Urlaubs nachzufragen.
“ Keine Sorge, das vergesse ich nun ganz bestimmt nicht”, versicherte sie ihm und setzte mit einem amüsierten Blick hinzu: “Du hast es damit ja ganz schön eilig. Ist neuerdings etwas mit deiner Wohnung, dass du so gar nicht wieder dorthin zurück willst? Ich hoffe, du hast da nicht eine Leiche im Keller.”
Er zuckte innerlich zusammen und hoffte, dass sie es nicht bemerkte, und um es zu überspielen, sagte er ernst:
“ Auf jeden Fall muss ich ja hin, um meinen Koffer zu packen, falls es hoffentlich mit deinem Urlaub klappt. Und außerdem muss ich mich irgendwann endlich mal um den Wagen kümmern. Das habe ich bisher nämlich völlig verschwitzt.”
Sobald sie aus dem Haus war, fuhr er ihren Computer hoch, um nach der Telefonnummer der Werkstatt zu suchen; sie war sonst nur auf seinem Handy gespeichert, das seit Tagen abgeschaltet zu Hause im Schreibtisch lag. Doch anstatt den entsprechenden Suchbefehl einzugeben, rief er die Homepage des Tagesspiegels auf und klickte sich durch den Lokalteil.
Prompt stieß er auf eine neue Meldung über den “mysteriösen Unfall”, der inzwischen allerdings nicht mehr so genannt wurde. Jetzt war auch in diesem seriösen Blatt unverblümt von einem Verbrechen die Rede und davon, dass der sonderbare Unfall nach Darstellung der Polizei lediglich vorgetäuscht worden war, um ein Tötungsdelikt zu verdecken. Der Verdacht, dass dem asthmakranken Heiko K. eine für ihn tödliche Dosis eines Betablockers verabreicht worden war, hatte sich anhand der Untersuchungen der Gerichtsmediziner definitiv bestätigt. Der Artikel war mit einem Foto illustriert, das den Toten zeigte, wie er zu Lebzeiten ausgesehen hatte, wie eben jener Mann, der vor Julia Gerlachs Haus auf ihn gelauert und ihn verfolgt und den er in der Grünewaldstraße angesprochen hatte. Es wurden Zeugen gesucht, die ihn zuletzt gesehen hatten. Hier sitzt ein solcher, sagte er stumm zu sich selbst. Er stierte auf den Bildschirm, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Sie hatte es also getan, daran gab es nach Lage der Dinge jetzt nichts mehr zu deuteln, nachdem er sich bisher insgeheim immer noch an die kleine Hoffnung geklammert hatte, das Ganze würde sich als Irrtum erweisen und Heiko Krollmann sei tatsächlich eines natürlichen Todes gestorben. Er sah sich in einen Strudel von Fragen gerissen. Hatte ihn jemand zusammen mit dem Mann gesehen? Waren er und Julia beobachtet worden, als sie ihn aus dem Haus geschafft und in seinen Wagen gesetzt hatten? Oder danach, als sie losgefahren waren? Was hatte sie gemacht, nachdem er sie heftig, ja grob abgeschüttelt und am Straßenrand zurückgelassen hatte? Hatte sie zu Hause die Gläser gespült, an denen die Fingerabdrücke des Opfers waren? Und seine eigenen mussten sich dort auch an allen möglichen Stellen befinden. Daran hatte er gar nicht mehr gedacht. Und gab es nicht doch jemanden, der um seine Beziehung zur ihr – oder wie immer man es nennen mochte - wusste?
Vor allem: Wie lange würde es dauern, bis die Polizei dahinter kam, dass zwischen Heiko Krollmann und Oliver Rensing eine Verbindung existierte? Dass sie einander gekannt hatten? Und wie viel Ermittlungsarbeit würde es von da an noch brauchen, um irgendwann auf Julia Gerlach zu stoßen – mit dem Ergebnis, dass schließlich auch noch ein gewisser Robert Kessler ins Spiel kommen würde, der dann zu erklären hätte, weshalb er einer Mörderin beim Beseitigen der Leichen so eilfertig zur Hand gegangen war?
Über den Fall Rensing hatte in den letzten Tagen nichts mehr in den Zeitungen gestanden, jedenfalls nicht mehr, solange er darauf geachtet hatte. Aber das war ja zuletzt auch gar nicht mehr der Fall gewesen, er hatte es mehr oder weniger verdrängt. Abermals begann er im Internet zu suchen und rief die Archive der Lokalteile auf. Doch es fand sich nichts Neues.
Mittags rief Eva an und teilte ihm mit, sie könne sich ab Mittwoch für zehn Tage frei machen; er solle doch schon mal überlegen, wohin sie fahren sollten.
Ja, ja, das werde er tun, sagte er so gedankenverloren, dass es ihr nicht entgehen konnte.
“ Was ist? Freust du dich denn gar nicht?”, fragte sie, mit Erstaunen in der Stimme und gleich wieder diesem Anklang von Besorgtheit. “Du warst doch so versessen darauf.”
“ Doch, doch, natürlich freue ich mich”, blockte er ab. Nur keine Diskussion jetzt, das wäre das Letzte gewesen,
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