Die Frau an Seiner Seite
druckreif vorlag, schaltete sich Hannelore Kohl ein und behielt sich nach Einwilligung ihres Mannes vor, Satz für Satz zu überprüfen. Das geschah in den abgedunkelten Räumen des Ludwigshafener Bungalows und wurde für alle zu einer mehrwöchigen Tortur. Hannelore arbeitete Tag für Tag und nicht selten Nacht für Nacht an den einzelnen Kapiteln. Stundenlang saß sie über den Texten, korrigierte, redigierte und nahm Einfluss bis auf die Interpunktion. Zuletzt saß das Ehepaar Kohl gemeinsam mit den Helfern zusammen und ging noch einmal jede einzelne Zeile gemeinsam durch. Sie las vor, formulierte hier und da neu oder forderte an manchen Stellen Veränderungen. Vor allem wünschte sie sich Abschwächungen bei Beschreibungen von Personen, die vom Tagebuchautor äußerst kritisch bis extrem negativ dargestellt worden waren. Hannelore wollte in manche Passagen eine versöhnliche Ebene einziehen und kämpfte für Formulierungen, die ihr Mann oft nicht akzeptierte. Nicht selten kam es zu heftigem Streit zwischen den beiden und nicht selten befand sich Hannelore auf der Verliererseite. In den meisten Fällen setzte sich der Tagebuchautor mit seinen Vorstellungen durch. Manchmal zog sich Hannelore daraufhin empört zurück. Versöhnliche Gesten ihres Gatten ermöglichten schließlich die Weiterarbeit, an deren Ende jenes Werk stand, das zu Weihnachten 2000 in den Buchhandlungen lag und schnell die Bestsellerlisten eroberte. Darauf war Hannelore, die sich insgeheim als Co-Autorin fühlte, sehr stolz. Auch wenn es sie in Anbetracht ihrer schweren Krankheit unglaubliche Kraft gekostet haben muss, hatte sie diese für sie so selten gewordene geistige Auseinandersetzung und Ablenkung, die das Buchprojekt mit sich gebracht hatte, sehr genossen.
FREUNDSCHAFTSNETZ
Wie sehr ihr die CDU-Spendenaffäre zu schaffen machte, ist kaum in Worte zu fassen. Ihre Freundinnen erinnern sich daran, dass Hannelore seit Beginn der Affäre von immer heftigeren Schmerzattacken geplagt wurde. Mit jeder neuen Wendung der Spendenaffäre-Spirale verschlechterte sich ihr Allgemeinzustand. Die Ärzte hatten Hannelore Kohl eine Licht- oder Fotoallergie mit einer chronifizierten und fortschreitenden somatoformen Störung bescheinigt. Darunter versteht man Somatisierungsstörungen, die mit multiplen, wiederholt auftretenden und auch wechselnden Körperbeschwerden einhergehen. Sie können jedes Organ oder jedes Körpersystem betreffen. Am häufigsten sind gastrointestinale Beschwerden und abnorme Hautempfindungen. Der Verlauf ist aus medizinischer Sicht ohne eine geeignete Psychotherapie chronisch fluktuierend und schließlich fortschreitend.
Im Verlauf des Frühjahrs 2000 wurden Hannelores Schmerzen bei Lichteinfall immer stärker. Als sie zu Ostern wieder einmal am Tegernsee weilte, folgte sie dem ärztlichen Rat und unterzog sich einer sogenannten Desensibilisierung, vor der sie lange Zeit große Angst hatte. Sie sträubte sich mit Händen und Füßen, ließ sich am Ende aber doch von der Notwendigkeit überzeugen. Doch dann ging alles schief. Während der Therapie wurde Hannelore gezielt und in langsam ansteigenden Dosen den schädlichen Lichtreizen ausgesetzt. Die Folgen waren desaströs, sie musste die Therapie abbrechen und fühlte sich fortan noch schlechter. Jede Form von Licht – ob Sonnen-, Tages- oder künstliches Licht –, bereitete ihr starke Schmerzen in den Schleimhäuten und im Zahnfleisch. Schnell war ein Sündenbock gefunden. Diesmal war es jener Arzt der Klinik, der ihr zur Desensibilisierung geraten hatte. Für Hannelore war dieses Ereignis an Ostern 2000 vergleichbar mit jenem vom Februar 1993, als mit dem penicillinhaltigen Medikament ihre Lichtempfindlichkeit begann. Das Scheitern der Desensibilisierung war vermutlich ein weiterer niederschmetternder Markstein auf ihrem Krankheitsweg.
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Die wenigen Sitzungen des Kuratoriums ZNS in Bonn, an denen sie nun noch teilnahm, fanden in einem Tagungsraum des Hotels »Maritim« statt, der Hannelores Bedürfnissen entsprechend umgerüstet wurde: die Fenster verdunkelt, Kerzen als Lichtquellen, die Klimaanlage auf äußerste Kälte eingestellt. Hannelores letzter öffentlicher Auftritt für ihre Stiftung war am 5. Mai 2000 auf Schloss Ahrensburg in der Nähe von Hannover. Das Benefizkonzert war ein letzter großer Erfolg für Hannelore und ihr soziales Engagement. Danach wurde sie nie mehr in der Öffentlichkeit gesehen. Nur noch selten verließ sie ihr Haus in Ludwigshafen. Und wenn
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