Die Frau an Seiner Seite
Fernreise mit sich brachte. Es wurde erwartet, dass Hannelore auch nach mehrstündiger Flugzeit immer lächelnd vor die Kameras trat. Wie viel Mühe sie das manchmal kostete, konnte man bei Kohls Japanreise mit einer großen Wirtschaftsdelegation Ende Oktober 1983 sehen. Der glanzvolle Empfang bei Kaiser Hirohito blieb Hannelore unvergessen, lieferte aber auch Bilder einer angestrengten Kanzlergattin, die hochkonzentriert darauf achtete, dem außergewöhnlichen Protokoll zu folgen. Die Sorge, einen Fehler zu machen, stand ihr buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Ihr Lächeln geriet oft zur Maske, vor allem dann, wenn sie sich unbekannten Regeln unterwerfen musste. Aber je häufiger sie sich im Ausland bewegte, umso selbstbewusster und gelöster meisterte sie auch solche Situationen.
Ob totalitäre Regime in Asien oder Lateinamerika, ob kommunistische Diktaturen in Osteuropa oder China: Hannelore lernte sie im Laufe der Jahre alle kennen. Den offiziellen Damenprogrammen, deren Schwerpunkt auf der Besichtigung kultureller Einrichtungen lag, konnte sie hingegen immer weniger abgewinnen. Mit der Zeit mischte sie sich schon im Vorfeld interessanter Reisen ein und nahm Einfluss auf die Planungen, die für ihren Aufenthalt vorgesehen waren. Sie scheute sich nicht, Vorschläge deutscher Botschafter in Gastländern abzulehnen oder stark zu ändern. Je erfahrener und sicherer sie wurde, umso selbstbewusster organisierte sie ihr Damenprogramm nach ihrem Geschmack. Nachdem Hannelore ihr soziales Engagement als Präsidentin des Kuratoriums für Verletzte mit Schäden des Zentralen Nervensystems (ZNS) 1983 aufgenommen hatte, legte sie besonders großen Wert auf Besuche medizinischer Einrichtungen dieser Art im Ausland.
Diese Eigenständigkeit brachte ihr bei den Gastgebern auf der ganzen Welt großen Respekt und Anerkennung ein. Zumal sie stets penibel darauf achtete, übergeordnete Wünsche des Protokolls zu erfüllen, wenn es dem Ansehen von Gastgebern oder Gästen diente. Auf was sie gerne verzichtet hätte, waren die stundenlangen Galadiners, bei denen politische Reden gehalten wurden, die Hannelore oft langweilten. Wenig konnte sie auch mit den sich ewig wiederholenden Toasts und launigen Trinksprüchen anfangen. Doch Pflichtbewusstsein und Disziplin – zwei ihrer hervorstechendsten Eigenschaften – verboten ihr auszuscheren.
Nach anstrengenden Auslandsreisen brauchte Hannelore Erholung. Sie schlief ausgiebig und entspannte sich mit Freundinnen, mit denen sie shoppen oder essen ging. Das geschah meist unter der Woche. Wenn Helmut am Wochenende nach Ludwigshafen kam, war sie ganz auf ihn konzentriert, sorgte für gute Stimmung, für gutes Essen und Trinken. Zweisamkeit und Ruhe waren trotzdem nur selten angesagt. Hannelore musste jederzeit auf Gäste vorbereitet sein.
Kapitel 6
PRÄSIDENTIN
Nach der vorgezogenen Bundestagswahl am 6. März 1983, die der Bonner Regierungskoalition eine komfortable Mehrheit beschert hatte, sah Hannelore Kohl Handlungsbedarf. Für sie war nun die Zeit gekommen, sich neben den Repräsentationspflichten verstärkt sozial zu engagieren. Längst hatte sie sich insgeheim dafür entschieden, Hirnverletzte zu unterstützen und ihnen zu besseren Heilungschancen zu verhelfen. Eigene Erfahrungen im engsten Familien- und Freundeskreis und vor allem ihre Tätigkeit als Schirmherrin des Fördervereins der Walter-Poppelreuther-Unfallklinik des Bundes Deutscher Hirngeschädigter in Vallendar bei Koblenz, die sie seit 1971 ausübte, hatten sie in ihrem Entschluss bestärkt. In ihrer Rolle als Frau des damaligen Ministerpräsidenten hatte sie diese Neurologische Rehabilitationsklinik durch ihre Unterstützung über die Grenzen des Landes Rheinland-Pfalz hinaus bekannt gemacht. Durch ihr Engagement hatte sie erfahren, dass Verletzungen des zentralen Nervensystems vor allem durch Unfälle im Straßenverkehr, am Arbeitsplatz, im Haushalt oder beim Sport hervorgerufen wurden. Von den rund 270 000 Betroffenen waren im Jahr 2010 knapp die Hälfte unter 25 Jahren, darunter 35 000 Kinder unter fünf Jahren.
Wenige Tage nach der Wahl 1983 ergriff Hannelore die Initiative, um eine bundesweite Organisation zur Unterstützung Hirngeschädigter ins Leben zu rufen. Wie immer überließ sie dabei nichts dem Zufall. Sie brauchte die besten Experten der Republik, musste Menschen finden, die bereit waren, ihren Sachverstand für eine völlig neue Initiative einzusetzen. Sie holte sich vor allem Rat beim Ärztlichen
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