Die Frau aus Alexandria
erwogen, vor allem die letzte. »Du hast ja Recht«, sagte sie ruhig. »Aber um der armen Tilda willen wüsste ich gern, was wirklich geschehen ist ... und auch um Gracies willen. Ich glaube, sie hat sich wegen dieser Angelegenheit mit Inspektor Tellman zerstritten, weil er gesagt hat, er könne der Sache nicht nachgehen, da kein Verbrechen vorliege.«
»Tellman ist Inspektor? Ach ... ja.« Emilys Interesse war wieder geweckt. »Wie steht es eigentlich um diese Romanze? Was meinst du: Wird Gracie nachgeben und ihn heiraten? Und was wirst du in dem Fall ohne sie tun? Dich nach einer guten, erfahrenen Kraft umsehen oder wieder ein halbes Kind ins Haus nehmen und von vorn anfangen? Das kannst du ja wohl unmöglich tun, oder?«
»Ich weiß nicht, ob sie ihn nimmt oder nicht«, sagte Charlotte betrübt. »Ich glaube schon ... Ich hoffe es sogar für sie, denn sie ist sehr in ihn verliebt und merkt das allmählich auch selbst. Aber das braucht seine Zeit. Ich habe keine Ahnung, was ich ohne sie anfangen soll, und möchte noch nicht einmal daran denken. In meinem Leben hat es in letzter Zeit schon mehr Veränderungen gegeben, als mir lieb ist.«
Mit aufrichtigem Mitgefühl sagte Emily: »Das kann ich dir nachfühlen. Bitte entschuldige. Früher hat es einfach viel mehr Spaß gemacht, als wir Thomas bei seinen – unseren – Fällen helfen konnten. Das stimmt doch, oder?«
Charlotte biss sich auf die Lippe, teils, um ein Lächeln zu unterdrücken, teils, um sich an den Zweck ihres Besuchs zu mahnen. »Ich bin entschlossen, so viel wie möglich über den jungen Garrick herauszubekommen«, sagte sie. »Sofern genügt, was ich aus eigener Kraft in Erfahrung bringen kann, gut - falls es aber nicht anders geht, frage ich ihn einfach selbst, denn ich will unbedingt wissen, was mit Martin Garvie ist.«
»Ich helfe dir dabei«, sagte Emily, ohne zu zögern. »Was weißt du über die Familie Garrick?«
»Nichts, außer wo sie wohnt, und auch das nur ungefähr.«
Emily erhob sich. »Dann müssen wir anfangen, uns zu erkundigen.« Sie musterte Charlotte mehr oder weniger billigend von Kopf bis Fuß. »Du bist ja bereits für einen Besuch gekleidet. Allerdings finde ich, dass du einen modischeren Hut aufsetzen solltest. Ich geb dir einen von meinen. In einer Viertelstunde bin ich auch so weit ...« Nach kurzem Zögern fügte sie hinzu: »Es kann auch eine halbe dauern.«
Tatsächlich machten sich die Schwestern erst nahezu eine Stunde später in Emilys Kutsche auf den Weg. Als Erste befragten sie eine Dame, mit der Emily so gut befreundet war, dass sie sich nicht lange bei der Vorrede aufzuhalten brauchte.
»Nein, verheiratet ist er nicht«, sagte Mrs Edsel, eine angenehme, nicht besonders hübsche Frau, die sich lediglich durch einen lebhaften Gesichtsausdruck und einen bedauerlichen Geschmack in Bezug auf Ohrringe auszeichnete. »Hat ihn jemand aus Ihrer näheren Bekanntschaft ins Auge gefasst?«
»Ich glaube schon«, log Emily, die alle gesellschaftlichen Künste mit der in ihren Kreisen üblichen Geläufigkeit beherrschte. »Gibt es etwa Gründe, die dagegen sprechen?«
»Nun, soweit mir bekannt ist, sind die Garricks nicht unvermögend.« Eifrig beugte sich Mrs Edsel vor. Zwar war Klatsch für sie ein Lebenselement, das ihr so viel bedeutete wie anderen Menschen Essen und Trinken, doch war ihr auch aufrichtige Hilfsbereitschaft nicht fremd. »Eine tadellose Familie. Der Einfluss des Vaters, Ferdinand Garrick, reicht bis in die höchsten Kreise. Er hat eine glänzende militärische Laufbahn hinter sich, sagt mein Mann.«
»Und warum sollte sein Sohn dann keine gute Partie sein?«, fragte Emily betont unschuldig.
»Für die richtige Frau wäre er das wohl schon.« Mrs Edsel schien eingefallen zu sein, was sie ihrer Stellung schuldig war, denn sie wurde etwas zurückhaltender.
»Und für die falsche?«, platzte Charlotte heraus.
Mrs Edsel warf ihr einen misstrauischen Blick zu. Zwar waren Emily und sie gut miteinander bekannt, aber da sie Charlotte noch
nie begegnet war, wusste sie nicht, ob diese ihr später nützlich sein oder schaden konnte.
Emily sah ihre Schwester mahnend an.
Da es keine Möglichkeit gab, die Worte ungesagt zu machen, zwang sich Charlotte zu einem Lächeln. Es sah ein wenig so aus, als zeige sie der anderen die Zähne. »Es geht um eine Freundin, um die ich mir Sorgen mache«, sagte sie, ohne dafür von der Wahrheit abweichen zu müssen. Trotz ihrer unterschiedlichen gesellschaftlichen
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